Das Spiel
Hilfe«, flüsterte Jessie und drehte den Zündschlüssel wieder herum. Immer noch nichts. Nicht einmal ein Klicken. Und jetzt stahl sich wie ein übellauniger kleiner Einbrecher ein neuer Gedanke in ihren Kopf: Ihr Unvermögen, den Motor anzulassen, hatte nichts mit dem kleinen Tick des Getriebes zu tun. Auch das war auf das Treiben ihres Besuchers zurückzuführen. Er – es – hatte die Telefonleitungen durchgeschnitten; es hatte auch die Haube des Mercedes gerade lange genug hochgehoben, um die Verteilerkappe abzureißen und in den Wald zu werfen.
Die Tür schlug. Sie sah nervös in diese Richtung und war davon überzeugt, dass sie einen Augenblick lang das grinsende weiße Gesicht in der Dunkelheit des Foyers gesehen hatte. Noch einen oder zwei Augenblicke, und es würde herauskommen. Es würde einen Stein nehmen und das Autofenster einschlagen, dann würde es eine große Scherbe Sicherheitsglas nehmen und …
Jessie griff sich mit der linken Hand über den Schoß und drückte, so fest sie konnte, gegen den Schalthebel (der sich in Wahrheit überhaupt nicht zu bewegen schien). Dann griff sie mit der rechten Hand unbeholfen durch den unteren Halbkreis des Lenkrads, nahm den Zündschlüssel und drehte ihn wieder.
Noch mehr nichts. Abgesehen vom stummen, hämischen Gelächter des Ungeheuers, das sie beobachtete. Das konnte sie überdeutlich hören, wenn auch nur im Geiste.
»Bitte, lieber Gott, kann ich verdammt nochmal nicht ein einziges Mal Glück haben?«, schrie sie. Der Schalthebel zitterte ein wenig unter ihrer Hand, und als Jessie den Schlüssel dieses Mal auf Startposition drehte, erwachte der Motor brüllend zum Leben – Jawohl, mein Führer! Sie schluchzte vor Erleichterung und schaltete die Scheinwerfer ein. Ein paar leuchtend orangerote Augen sahen sie von der Einfahrt an. Sie schrie und spürte, wie sich ihr Herz von den Leitungen in der Brust losreißen, ihr den Hals hinaufhüpfen und sie erwürgen wollte. Es war selbstverständlich der Hund – der Streuner, der sozusagen Geralds letzter Klient gewesen war.
Der einstige Prinz stand stocksteif da und war vom grellen Scheinwerferlicht vorübergehend geblendet. Hätte Jessie den Gang in diesem Augenblick eingelegt, hätte sie wahrscheinlich losfahren und den Hund töten können. Der Gedanke ging ihr sogar durch den Kopf, aber auf eine distanzierte, fast akademische Weise. Hass und Angst vor dem Hund waren verraucht. Sie sah, wie abgemagert er war und wie sich die Zecken in seinem struppigen Fell drängten – ein Fell, das zu dünn war, als dass es nennenswert Schutz vor dem bevorstehenden Winter geboten hätte. Aber am deutlichsten sah sie, wie er im Licht zusammenzuckte, die Ohren hängen ließ und die Hinterbeine auf den Boden drückte.
Ich habe es nicht für möglich gehalten, dachte sie, aber ich habe etwas gefunden, was noch mehr Angst als ich hat.
Sie schlug mit dem Ballen der linken Hand auf die Hupe des Mercedes. Sie gab einen kurzen Laut von sich, mehr Röcheln als Hupen, aber der reichte aus, den Hund zu erschrecken. Er drehte sich um und verschwand ohne einen Blick zurück im Wald.
Du solltest seinem Beispiel folgen, Jess. Verschwinde von hier, solange du noch kannst.
Gute Idee. Es war sogar die einzige Idee. Sie griff wieder mit der linken Hand über sich hinweg, dieses Mal um den Schalthebel auf »Drive« zu stellen. Der Wagen rollte mit seinem beruhigenden kurzen Aufbäumen an und fuhr langsam die gepflasterte Einfahrt entlang. Die windgepeitschten Bäume wiegten sich auf beiden Seiten des Autos wie Schattentänzer und ließen die ersten Wirbelsturmtrichter voll Herbstlaub in den Nachthimmel kreisen. Ich schaffe es, dachte Jessie staunend. Ich schaffe es wahrhaftig, ich bringe den Puck wahrhaftig von hier weg.
Sie rollte die Einfahrt entlang, rollte zu dem namenlosen Feldweg, der sie zur Sunset Lane bringen würde, und diese wiederum würde sie zur Route 117 und in die Zivilisation führen. Während sie das Haus (das im windigen Oktobermondenschein mehr denn je wie ein Totenschädel aussah) im Rückspiegel schrumpfen sah, dachte sie: Warum lässt es mich gehen? Lässt es mich überhaupt gehen? Wirklich?
Ein Teil von ihr – der vor Angst halb wahnsinnige Teil, der nie ganz den Handschellen und dem Schlafzimmer im Haus an der Nordseite des Kashwakamak Lake entkommen würde – versicherte ihr, dass sie keine Chance hatte, dass die Kreatur mit dem Weidenkorb nur wie eine Katze mit einer verwundeten Maus mit ihr spielte. Bevor
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