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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Schulter geschlungen und gezogen. Sie heulte und ballte die Hände mit so unvermittelter Heftigkeit zu Fäusten, dass zwei Fingernägel vom Nagelbett abbrachen und zu bluten anfingen. Ihre Augen, die in braune Höhlen aufgequollener Haut eingesunken waren, hatte sie fest zugekniffen, aber dennoch quollen ihr Tränen heraus, liefen die Wangen hinab und vermischten sich mit den Schweißtropfen vom Haaransatz.
    Weiterstrampeln, Süße – jetzt nur nicht aufhören.
    »Nenn mich nicht Süße!«, schrie Jessie.
    Der Streuner war kurz vor Einbruch der Dämmerung auf die hintere Veranda zurückgeschlichen, und als er jetzt ihre Stimme hörte, hob er ruckartig den Kopf. Sein Gesicht stellte einen fast komischen Ausdruck der Überraschung zur Schau.
    »Nenn mich nicht so, du Schlampe! Du hässliche Schl…«
    Wieder ein Krampf, der sich scharf und plötzlich wie ein Herzschlag durch ihren linken Trizeps bis zur Achselhöhle bohrte, und ihre Worte gingen in einen langgezogenen, bebenden Schmerzensschrei über. Dennoch strampelte sie weiter.
    Irgendwie gelang es ihr weiterzustrampeln.

20
     
     
     
    Als die schlimmsten Krämpfe vorbei waren – wenigstens hoffte sie, dass es die schlimmsten waren -, holte sie tief Luft, lehnte sich an die Mahagonibretter des Kopfteils, machte die Augen zu und verlangsamte ihren Atem allmählich – zuerst zum Galopp, dann zum Trab, schließlich zum Gang. Durst hin, Durst her, es ging ihr überraschend gut. Sie vermutete, dass es teilweise an dem alten Witz lag, dem mit dem Gag »Es tut so gut, wenn man aufhört«. Aber sie war bis vor fünf Jahren (gut, zugegeben, vielleicht mehr Richtung zehn) ein sportliches Mädchen und eine sportliche Frau gewesen und erkannte einen Endorphinstoß immer noch, wenn sie einen hatte. Absurd, unter den gegebenen Umständen, aber auch ziemlich gut.
    Vielleicht nicht so absurd, Jess. Vielleicht nützlich. Diese Endorphine machen den Kopf klar, was ein Grund sein mag, warum manche Leute nach ein paar Übungen besser denken können.
    Und ihr Kopf war klar. Die schlimmste Panik war verflogen wie Industrieabgase bei starkem Wind, und sie fühlte sich mehr als vernünftig; sie fühlte sich wieder durch und durch normal. Das hätte sie nie für möglich gehalten, und sie fand diesen Beweis für die unermüdliche Anpassungsfähigkeit und beinahe insektenhafte Widerstandskraft des Geistes fast ein bisschen unheimlich. Das alles, und dabei habe ich noch nicht einmal meinen Frühstückskaffee getrunken, dachte sie.
    Beim Gedanken an Kaffee – schwarz, in ihrer Lieblingstasse mit dem Kranz blauer Blumen um die Mitte – leckte sie sich die Lippen. Außerdem musste sie an die Fernsehsendung Today denken. Wenn ihre innere Uhr richtig ging, musste Today gerade eben anfangen. Männer und Frauen überall in Amerika – größtenteils ohne Handschellen – saßen an Küchentischen, tranken Saft und Kaffee, aßen Brötchen und Rührei (oder diese Frühstücksflocken, die angeblich gleichzeitig das Herz beruhigten und die Verdauung anregten). Sie sahen Bryant Gumbel und Katie Couric mit Joe Garagiola flachsen. Etwas später würden sie sehen, wie Willard Scott ein paar Hundertjährigen einen schönen Geburtstag wünschte. Es würden Gäste eingeladen sein – einer würde über etwas sprechen, das Primärrate genannt wurde, und über etwas anderes mit Namen Fed, einer würde den Zuschauern zeigen, wie sie ihr Lieblingshaustier daran hindern konnten, dass es ihnen die Pantoffeln zerbiss, und einer würde seinen neuesten Film vorstellen – und keiner würde wissen, dass drüben im westlichen Maine ein Unfall stattfand; dass eine ihrer mehr oder weniger treuen Zuschauerinnen heute Morgen nicht einschalten konnte, weil sie keine sechs Meter von ihrem nackten, hundezerfressenen, fliegenübersäten Ehemann entfernt mit Handschellen ans Bett gefesselt war.
    Sie drehte den Kopf nach rechts und betrachtete das Glas, das Gerald vor Beginn der Festivitäten so achtlos auf seine Seite des Regals gestellt hatte. Vor fünf Jahren, überlegte sie, wäre dieses Glas wahrscheinlich nicht da gewesen, aber so sehr Geralds nächtlicher Konsum von Scotch zugenommen hatte, so sehr hatte er tagsüber alle anderen Flüssigkeiten in sich hineingeschüttet – hauptsächlich Wasser, aber er trank auch literweise Diätlimonade und Eistee. Für Gerald schien der Ausdruck »Probleme mit dem Trinken« jedenfalls kein geflügeltes Wort, sondern die nackte Wahrheit zu sein.
    Nun, dachte sie garstig, wenn er

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