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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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die Meuterei in ihren Armen weiter reichte, als sie vermutet hatte. Sie weigerten sich nicht nur, sie zu bewegen; sie weigerten sich auch, sich selbst zu bewegen. Die Befehle ihres Gehirns wurden völlig missachtet. Sie betrachtete sie erneut, und jetzt kamen sie ihr nicht mehr wie Möbelstücke vor: Jetzt sahen sie wie bleiche Fleischstücke aus, die an Metzgerhaken hingen, und sie stieß einen heiseren Schrei der Angst und Wut aus.
    Vergiss es. Die Arme funktionierten nicht, jedenfalls vorübergehend, und wütend oder ängstlich zu sein würde daran kein bisschen ändern. Und was war mit den Fingern? Wenn sie die um die Bettpfosten krümmen konnte, dann vielleicht …
    … oder vielleicht auch nicht. Ihre Finger schienen so nutzlos wie ihre Arme zu sein. Nachdem sie sich eine Minute völlig verausgabt hatte, bekam Jessie als Belohnung nur ein lahmes Zucken des rechten Daumens.
    »Großer Gott«, sagte sie mit ihrer knarrenden Staub-in-den-Fugen-Stimme. Jetzt klang keine Wut mehr darin mit, nur Angst.
    Menschen kamen bei Unfällen um – selbstverständlich, sie glaubte, sie hatte zeit ihres Lebens Hunderte, möglicherweise Tausende »Todes-Clips« in den Fernsehnachrichten gesehen. Leichensäcke, die von Schrottautos weggetragen oder mit Medi-Vac-Schlingen aus dem Dschungel gezogen wurden; Füße, die unter hastig ausgebreiteten Decken hervorragten, während im Hintergrund Gebäude brannten; blasse, stammelnde Zeugen, die in Gassen oder Bars auf Lachen voll klebriger dunkler Flüssigkeit deuteten. Sie hatte den weißverhüllten Leichnam von John Belushi gesehen, der aus dem Hotel Chateau Marmont in Los Angeles getragen worden war; sie hatte mit angesehen, wie der Hochseilakrobat Karl Wallenda das Gleichgewicht verlor, schwer auf das Kabel stürzte, das er überqueren wollte (es war zwischen zwei Hotels gespannt gewesen, glaubte sie sich zu erinnern), dieses kurz packte und dann in den Tod stürzte. Das hatten alle Nachrichtensender immer wieder ausgestrahlt, als wären sie davon besessen gewesen. Daher wusste sie, dass Menschen bei Unfällen ums Leben kamen, natürlich wusste sie das, aber bisher war ihr einfach nie klar gewesen, dass Menschen in diesen Menschen wohnten, Menschen wie sie, die nicht die geringste Ahnung hatten, dass sie nie wieder einen Cheeseburger essen, nie wieder eine Folge von »Riskant« sehen (und bitte vergessen Sie nicht, dass Ihre Antwort als Frage formuliert sein muss) oder nie wieder ihre Freunde anrufen würden, um ihnen zu sagen, dass Penny-Poker am Donnerstagabend oder ein Einkaufsbummel am Samstagnachmittag eine prima Idee wäre. Kein Bier mehr, keine Küsse mehr, und die Fantasie, während eines Gewitters in einer Hängematte Sex zu machen, würde auch nicht mehr in Erfüllung gehen, weil man zu sehr damit beschäftigt war, tot zu sein. Jeder Morgen, an dem man sich aus dem Bett wälzte, könnte der letzte für einen sein.
    Ich glaube, heute Morgen heißt es nicht mehr »könnte«, Jessie. Ich glaube, heute heißt es schon »wahrscheinlich«. Das Haus – unser hübsches kleines Haus am See – könnte durchaus am Freitag- oder Samstagabend in den Nachrichten kommen. Doug Rowe wird den weißen Trenchcoat tragen, den ich so sehr verabscheue, und ins Mikrofon sprechen und es das Haus nennen, »in dem der bekannte Anwalt Gerald Burlingame aus Portland und seine Frau Jessie gestorben sind«. Dann wird er ins Studio zurückgeben, und Bill Green wird die Sportnachrichten verlesen, und das ist nicht morbid, Jessie, es ist weder das Jammern von Goodwife noch das Toben von Ruth. Es ist...
    Aber Jessie wusste es. Es war die Wahrheit. Es war nur ein dummer kleiner Unfall, über den man den Kopf schüttelte, wenn man beim Frühstück in der Zeitung davon las; man sagte: »Hör dir das mal an, Liebling«, und las den Artikel seinem Mann vor, während der eine Grapefruit aß. Nur ein dummer kleiner Unfall, und dieses Mal stieß er eben ihr zu. Das unablässige Beharren ihres Verstands, dass es ein Irrtum war, war verständlich, aber irrelevant. Es gab keine Beschwerdestelle, wo sie erklären konnte, dass das mit den Handschellen Geralds Idee gewesen war und es daher nur gerecht erschien, wenn sie verschont wurde. Wenn der Irrtum schon korrigiert werden sollte, musste sie es selbst tun.
    Jessie räusperte sich, machte die Augen zu und sprach zur Decke: »Gott? Könntest Du mir einen Augenblick zuhören? Ich brauche Hilfe, wirklich. Ich stecke in einem echten Schlamassel und habe Angst. Bitte hilf

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