Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
mir hier raus, ja? Ich … äh … ich bete im Namen von Jesus Christus«. Sie suchte nach einer Bekräftigung dieses Gebets, aber ihr fiel nur etwas ein, was Nora Callighan ihr beigebracht hatte, ein Gebet, das heutzutage jeder Selbsthilfekrüppel und Pseudoguru auf den Lippen zu haben schien: »Lieber Gott, gib mir die Gelassenheit zu akzeptieren, was ich nicht ändern kann, den Mut zu ändern, was ich kann, und die Weisheit, den Unterschied zu erkennen. Amen.«
    Nichts änderte sich. Sie verspürte keine Gelassenheit, keinen Mut und mit Sicherheit keine Weisheit. Sie war immer noch nur eine Frau mit abgestorbenen Armen und einem toten Mann und ans Bett gekettet wie ein Hofhund, der unbemerkt und unbetrauert starb, während sein gewissenloses Herrchen dreißig Tage im County-Knast absitzen musste, weil er ohne Führerschein und betrunken gefahren war.
    »O bitte mach, dass es nicht wehtut«, sagte sie mit leiser, zitternder Stimme. »Wenn ich sterben muss, lieber Gott, bitte mach, dass es nicht wehtut. Ich bin ein Angsthase, wenn es um Schmerzen geht.«
    Im Augenblick über das Sterben nachzudenken ist wahrscheinlich nicht die glücklichste Idee, Süße. Nach einer Pause fügte Ruths Stimme hinzu: Wenn ich es recht überlege, streich das »wahrscheinlich«.
    Okay, keine Widerrede – über das Sterben nachzudenken war keine gute Idee. Was blieb ihr sonst noch?
    Befreien, sagten Ruth und Goodwife Burlingame zugleich.
    Na gut, befreien. Und damit war sie wieder bei ihren Armen angelangt.
    Sie sind eingeschlafen, weil ich die ganze Nacht daran gehangen habe. Ich hänge noch daran. Sie zu entlasten ist der erste Schritt.
    Sie versuchte, sich mit den Füßen wieder zurück und hochzustoßen, und wurde vom plötzlichen Gewicht der Panik niedergedrückt, als diese sich ebenfalls nicht bewegen wollten. Sie rastete einen Moment lang aus, und als sie wieder zu sich kam, kickte sie panisch mit den Beinen auf und ab und schob Laken und Matratzenschoner zu der schon zerknüllten Bettdecke am Fußende. Sie keuchte wie ein Radrennfahrer am letzten Hügel einer Marathonfahrt. Ihre Kehrseite, die ebenfalls eingeschlafen war, kribbelte wie von Nadelstichen.
    Die Angst hatte sie völlig aufgeweckt, aber die linkische Aerobic, die ihre Panik begleitete, war erforderlich, um auch das Herz auf Touren zu bringen. Schließlich verspürte sie ein Kribbeln von Empfindungen – tief und geheimnisvoll wie fernes Donnergrollen – in den Armen.
    Wenn nichts anderes hilft, Süße, denk an die letzten zwei oder drei Schluck Wasser. Vergiss nicht, dass du das Glas nie zu fassen bekommen wirst, wenn deine Hände und Arme nicht einwandfrei funktionieren, geschweige denn daraus trinken kannst.
    Jessie strampelte weiter mit den Füßen, während der Morgen heller wurde. Schweiß klebte ihr das Haar an den Schläfen fest und lief ihr an den Wangen hinab. Sie merkte – vage -, dass sie ihr Wasserdefizit mit jedem Augenblick dieser anstrengenden Tätigkeit noch vergrößerte, aber sie sah keine andere Möglichkeit.
    Weil es keine gibt, Süße – überhaupt keine.
    Süße dies, Süße das, dachte sie abwesend. Könntest du vielleicht mal den Rand halten, Quasselstrippe?
    Schließlich glitt ihre Kehrseite nach oben in Richtung Kopfteil. Jedes Mal, wenn sie sich bewegte, spannte Jessie die Bauchmuskeln an und machte ein Mini-Klappmesser. Der Winkel, den ihr Ober- und Unterleib bildeten, näherte sich langsam neunzig Grad. Ihre Ellbogen wurden gebeugt, und als das Gewicht von Armen und Schultern genommen wurde, nahm das Kribbeln in ihrer Haut zu. Sie hörte nicht auf, die Beine zu bewegen, als sie endlich aufrecht saß, sondern strampelte weiter, weil sie ihren Herzschlag hochpeitschen wollte.
    Ein Schweißtropfen lief ihr ins linke Auge. Sie schüttelte ihn mit einer ungeduldigen Kopfbewegung ab und strampelte weiter. Das Kribbeln wurde schlimmer, schoss von ihren Ellbogen aus nach oben und unten, und etwa fünf Minuten nachdem sie sich in die derzeitige kauernde Haltung gezogen hatte (sie sah aus wie ein schlaksiger Teenager, der über einem Kinositz hing), stellte sich der erste Krampf ein. Er fühlte sich an wie ein Schlag mit der stumpfen Seite einer Fleischhacke.
    Jessie warf den Kopf zurück, so dass ein feiner Schweißschauer von Gesicht und Haaren spritzte, und kreischte. Als sie Luft holte, um den Schrei zu wiederholen, kam der zweite Krampf. Dieser war viel schlimmer. Es war, als hätte ihr jemand eine Schlinge mit Glasscherben um die linke

Weitere Kostenlose Bücher