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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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sie es gleich noch einmal.
     
    »Klaren Augs, mit Löwenmut im Herzen, den Sinn gerichtet auf den Tag, da ihre Ehr ihr wieder zugesprochen, geht in die Nacht hinaus der Tauben Herrin, wandert entgegen den Feuern der Ihren.«
     
    Sie musste kurz stehen bleiben, weil ein Hustenanfall sie schüttelte. Im nächsten Teil der Geschichte ging es ums Wandern und Singen. Das schien ihr nur passend: Sie wanderte gerade durch diesen Wald, und in gewisser Weise sang sie ja auch. Zweige schlugen ihr ins Gesicht, die nassen Blätter wie grimmige Küsse, was das Denken schwer machte, aber schließlich fielen ihr doch die nächsten Verse ein.
     
    »Im Wandern singt sie, und singend ist wahrhaft frei die reine Tochter des Gottes, der schrecklichen Wunde, dem rinnenden Blute zum Trotz.«
     
    Etwas zu haben, was ihre Gedanken beschäftigte, tat Briony gut, und es passte zu ihrer selbstmitleidigen Stimmung, sich sagen zu können, dass auch Zoria gelitten hatte.
Barmherzige Göttin,
betete sie,
denk an mich und hilf mir durch diese finsteren Tage.
In Gregor von Syans berühmter Romanze war die Welt voller Eis und Schnee. Briony konnte immerhin noch klar genug denken, um froh zu sein, dass hier im Wald kein Schnee lag, aber es war trotzdem so kalt, dass sie zitterte. Der Regen war stärker geworden und platschte durch Lücken im Blätterdach herab. Diese kleinen Wasserfälle waren jetzt noch weitere Hindernisse, die es zu umgehen galt, neben den schlimmsten Dornenranken und den umgestürzten Bäumen.
    Jemand war Zoria zu Hilfe gekommen, erinnerte sie sich — einer der anderen Götter. Wäre das nicht wunderbar, von einem Gott geret tet zu werden! Nur dass dieser Gott ihr bisher nicht viel geholfen hatte, oder ...?
     
    »Zosim, des alten Erdherrschers Kernios hilfreicher Enkel, hört der Perinstochter stolpernden Schritt, und den Weg ihr zu zeigen erbietet er sich, doch lang sind die Schatten der Nacht und verwirrend selbst für des Herrn der Eulen Blut, und überdies lähmt sie des Ewigfrosts dunkle Magie.
    Und so ist bestimmt des Mondkönigs Schicksal und besiegelt durch die Geheimnisse seines eigenen Hauses ...«
     
    Was immer das hieß. Ihre Stimme verlor sich,
    Ein Schatten schien höher am Hang aus der Deckung eines Baumstamms hinter einen anderen zu huschen. Briony blieb stehen. Ihr Herz raste. Sie kniff die Augen zusammen, konnte aber zwischen den papierweißen Birken nicht mehr erkennen als die Kegel von schwachem Sonnenlicht, alle von Regen durchglitzert, sodass sie aussahen wie Säulen aus rauchigem Glas und Diamanten.
    Konnte es ein Wolf sein? Sie berührte den Griff des langen Yisti-Messers, das in ihrem Gürtel steckte. Sie wusste, einen einzelnen Wolf würde sie abwehren, mit etwas Glück sogar töten können, aber Wölfe jagten doch in Rudeln, oder nicht? In einer düsteren Vision sah sie sich in einem nassen, gottverlassenen Wald von Wölfen umzingelt, während die Nacht hereinbrach. Sie fing an zu weinen.
    »Die
meisten Tiere in Wald und Flur haben mehr Angst vor dir, als du vor ihnen«,
hatte ihr Vater ihr einmal erklärt, und sie gab sich jetzt alle Mühe, es zu glauben.»
Und sie fürchten uns ja auch zu Recht — wir Menschen sind mit viel größerer Wahrscheinlichkeit ihr Tod als umgekehrt.«
    »Jawohl! Das bin ich!«, sagte sie, so laut und barsch sie irgend konnte. »Dein Tod!« Nichts rührte sich, nichts außer dem Regen war zu hören, als ihre Worte verhallt waren. Briony hustete wieder, schüttelte den Kopf und kletterte weiter, wobei sie sich die Hände noch weiter zerkratzte, wenn sie sich an besonders steilen Stellen an Steinen und Ranken festhielt.
     
    »Bei Aufgang der Sonne ...«,
deklamierte sie so laut, dass die Wölfe es hören mussten, und versuchte dabei, ihre Stimme fest und einschüchternd klingen zu lassen.
     
    » ... reitet Allvater Perin, gewappnet mit Blitzen, zornigen Augs seines Hauses Göttern voran. Über der klirrenden Erde erheben sich dräuend Ewigfrosts Türme, so bleich wie Bein, wie Zwielicht glimmend, umgeben vom Wall aus tödlichem Eis.«
     
    Von der Geschichte wurde ihr wieder ganz kalt. Sie merkte, dass ihre Kapuze heruntergerutscht und ihr Haar schon ganz nass war.
     
    »Vor seinem Tore wartet, gepanzert in Elfenbein und Elektrum, vom hellen Haupthaar umweht, der Herrscher des Mondes, Silberstrahl, das mächtige Schwert, in der Hand.«
     
    Kurz bevor sie das Ende des Hangs erreichte, sah sie es wieder: eine dunkle Bewegung, zwanzig Schritt vor ihr. Sie traute sich

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