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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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davon.«
     
    Sie folgte jetzt dem Wildwechsel. Er war breiter, als er ausgesehen hatte, als ob er doch nicht von Wild, sondern von Viehherden ausgetreten worden wäre, so wie die Viehwege, die sich von den Dörfern Südmarks durch die Täler und über die Hügel zu den Märkten der Stadt zogen. Dass das Gehen jetzt so vergleichsweise leicht war, stimmte sie zuversichtlicher, wenn es auch immer noch regnete und ihr Gesicht und ihre Hände nach wie vor taub von der Kälte waren. Wenn hier Wölfe in der Nähe waren, hielt sie sie mit dem Lied von Ewigfrost wirksam in Schach.
     
    »Im Schnee irrt Zoria, die Reine ...«,
schrie Briony, doch die nassen Bäume schluckten den Schall weitgehend. » ...
die Mandelprinzessin, entrissen Zosims helfender Hand durch des Alten Winters Zorn, und sieht nicht die Finger vor Augen, hört nur des eisigen Windes Geheul. Nicht weit indes streiten für ihre Ehre die Ihren, übertönet den Sturm der Götter Schlachtengebrüll.
     
    Zerschunden von den eisigen Nadeln des Schnees, stolpert sie blind durch heulendes Dunkel und ahnt nicht, dass hinter des Waldes finsterem Wall nichts ist als Kampf, als Tod, da sich untereinander die Vettern erschlagen und immer neuer Schnee über alles sich breitet ...«
     
    Briony verstummte, nicht weil sie die Worte vergessen hätte, diese bewegenden Worte, die schilderten, wie Zoria sich auf ihre lange Wanderung machte, während der Große Krieg der Götter tobte, sondern weil sich jetzt vor ihr auf dem Weg ganz eindeutig etwas bewegte. Das Spätnachmittagslicht war schon im Schwinden, aber da war unverkennbar eine Gestalt, gerade noch in ihrer Sichtweite, etwas Dunkles, das aufrecht ging.
    Sie unterdrückte den ersten Impuls, die Gestalt um Hilfe anzurufen. Wer lebte schon in einer solchen Gegend? Ein freundlicher Jägersmann, der sie in sein Häuschen mitnehmen und ihr Suppe zu essen geben würde, wie in den Märchen ihrer Kindheit? Viel eher war es doch wohl ein halbwilder Irrer, der ihr Gewalt antun würde. Sie zog das längere ihrer Messer und hielt es umfasst. Die Gestalt entfernte sich von ihr, also hatte derjenige sie vielleicht gar nicht gehört. Aber wie konnte das sein? Sie hatte doch laut genug deklamiert, um die Blätter von den Bäumen zu schreien. Vielleicht war er ja taub.
    Ein tauber Irrer. Das wird ja immer besser,
dachte sie sarkastisch. Briony selbst merkte es kaum, aber etwas von ihrem alten Selbst war wiedergekehrt, während sie durch den Wald gestolpert war und alte Verse in die Gegend geschrien hatte.
    Sie ging jetzt ein bisschen schneller, beachtete ihre schmerzenden Beine einfach gar nicht. Und sie deklamierte auch nicht mehr aus der Zoriengeschichte. Gregors berühmte Worte mochten ihr ja weitergeholfen haben, aber jetzt war ihre Zeit vorbei, zumindest für eine Weile.
    Nach ein paar Hundert Schritten erblickte sie die Gestalt wieder, und jetzt konnte sie sie etwas klarer erkennen: Sie wirkte wie ein Mensch, ging jedenfalls auf zwei Beinen, war aber seltsam gebeugt, buckliger, als es allein durch Betagtheit zu erklären war, und ein Schauer lief Briony über den Rücken. Was war das? Irgendein Zwitterwesen, halb Mensch, halb Tier? Würde es, wenn die Nacht hereinbrach, auf allen vieren weiterlaufen?
    Trotz ihrer Angst war ihr klar, dass sie bald ein Obdach und etwas zu essen finden musste, auch auf die Gefahr hin, einen Waldgeist auf sich aufmerksam zu machen. Sie lief weiter, so schnell und so leise sie konnte, und versuchte, das Etwas, das da vor ihr herging, noch besser sehen zu können.
    Als sie schließlich den Abstand auf etwa hundert Schritt verringert hatte, erkannte sie, dass die Gestalt doch nicht so übernatürlich war, wie sie gefürchtet hatte: Sie hatte einen dunklen Kapuzenmantel an und schleppte ein Bündel Holz auf dem Rücken. Briony fiel ein Stein vom Herzen.
Ein Mensch, endlich — nichts mit Reißzähnen und Klauen.
    Sie dachte sich, dass das jetzt ein guter Moment wäre, um zu rufen: Da war immer noch genug Abstand zwischen ihnen, dass sie notfalls flüchten konnte. Sie blieb stehen und schrie: »Halloo! Halloo, Ihr da! Könnt Ihr mir helfen? Ich habe mich verlaufen!«
    Die dunkle Gestalt verlangsamte ihren Schritt, blieb dann stehen und drehte sich um. Einen Moment lang erkannte Briony vage ein Gesicht unter der großen Kapuze, weißes Haar und schimmernde Augen. Dann drehte sich die Gestalt wieder weg und eilte weiter den Pfad entlang.
    »Beim Fluch der Götter!«, schrie Briony heiser. »Ich will Euch

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