Das Spiel
an dieses Wissen kamen, doch seid versichert, dass es nicht geschah, indem wir Euch mit Vorsatz ausgespäht.« Die Königin schenkte ihnen ein Lächeln, winziger als der Fingernagel eines Säuglings. »Wiewohl ich Euch gestehn muss, dass wir auch dies zuzeiten mit anderen schon getan. Doch mehr kann ich Euch nicht darüber sagen, denn wir sind hier, Euch einen Handel anzubieten.«
»Welcher Art?«, fragte Utta.
»Seid nicht albern«, sagte Merolanna. »Ihr braucht doch nicht mit mir zu handeln. Sagt mir, was Ihr wollt, und ich beschaffe es Euch — etwas zu essen? Ihr müsst ja ein schrecklich armseliges Leben führen, so versteckt in den Schattenwinkeln, wenn all die alten Geschichten sich jetzt als wahr erweisen. Geld werdet Ihr ja wohl kaum wollen ...«
Die Dachlingskönigin lächelte wieder. »Wir speisen besser, als Ihr glauben würdet, Herzogin. Selbst wenn sie dreifach wäre, unsre Zahl, wir hätten doch genug an dem, was hier in diesem großen Haus vergessen wird und weggeworfen. Doch was wir wollen, ist etwas weniger banal. Auch wollen wir's nicht für uns selbst.«
»Bitte«, sagte Merolanna, jetzt mit einem leicht ärgerlichen Unterton, »spielt keine Spielchen mit mir. Ihr stellt mir in Aussicht, etwas über meinen Sohn zu erfahren, und wenn Ihr überhaupt etwas von ihm wisst, müsstet Ihr doch auch wissen, dass ich dafür alles tun würde. Also sagt mir einfach, was Ihr wollt.«
»Das kann ich nicht. Wir wissen's nicht.«
»Was?« Merolanna wollte aufstehen, sank aber wieder auf ihren Stuhl zurück und fächelte sich vehement. »Wie könnt Ihr — welch grausamer Streich ...?«
»Bitte, Euer Gnaden, hört uns zu Ende an.« Altania sprach freundlich, aber in ihrem Ton lag doch eine Autorität, die Utta keineswegs entging. »Wir spielen keine Spiele. Der Herr des Höchsten Punkts, dem unser Dasein wir verdanken — er hat gesprochen und hat uns aufgetragen, was wir zu tun und was wir Euch zu sagen haben.«
»Ist das Euer Dachlingskönig?« Utta erhob sich von ihrem Stuhl und ging zu Merolanna. Sie legte ihr die Hand auf die Schulter und konnte nicht umhin zu bemerken, wie heftig die Herzoginwitwe zitterte.
Altania schüttelte den Kopf. »Nicht so, wie Ihr's versteht. Nein, unter den Lebenden regiere ich das Dachlingsvolk. Doch der Herr der Hohen Gefilde herrscht über alles, was lebt, und wir sind seine bescheidnen Diener.«
»Euer Gott?«
Sie nickte. »Ihr mögt ihn so nennen. Für uns ist er einfach der Herr.«
Merolanna holte tief Luft. Utta fühlte, wie sie erschauerte. »Was wollt Ihr? So sagt es doch bitte.«
»Ihr müsst uns begleiten. Ihr müsst hören, was der Herr des Höchsten Punktes spricht.«
»Ihr wollt uns zu ... zu Eurem Gott bringen?« Und dabei hatte Utta eben noch gedacht, Seltsameres könnte es gar nicht geben.
»Sozusagen. Euch wird kein Leid geschehn.«
Merolanna sah Utta an, mit einem Gesichtsausdruck irgendwo zwischen Verzweiflung und Erheiterung. Als sie dann sprach, klang aus ihrer Stimme dieselbe resignierte Verwirrung. »Nun gut, dann bringt uns hin. In den Dachlingshimmel oder wohin auch immer. Warum nicht?«
Die winzige Königin deutete auf die hintere Wand der Bibliothek, wo sich eine halb hinter Bücherborden und Stapeln von Büchern verborgene Tür befand. »Wisst, dass dies eine seltne Ehre ist. Es liegt Jahrhunderte zurück, dass wir zuletzt an unsere heilge Stätte Euresgleichen luden.«
»Durch diese Tür? Aber die ist doch abgeschlossen«, sagte Merolanna. »Olin hat immer davon gesprochen, dass dieser Speicherraum seit den Zeiten seines Großvaters nicht mehr geöffnet wurde — dass der Schlüssel verloren gegangen war und nichts die Türe je zu öffnen vermochte, es sei denn, man hätte sie eingerissen.«
»Natürlich nicht«, sagte Altania mit einer gewissen Befriedigung in der Stimme. »Sie ward von drüben verkeilt an tausend Stellen, und jener Schlüssel ging in der Tat verloren — für Euer Volk zumindest. Doch jetzt ruft Euch der Herr des Höchsten Punkts, weshalb sich meine Leute zwei Tage lang gemüht, die Keile und jedes Hemmnis zu entfernen.« Sie winkte, und drei ihrer winzigen Soldaten traten aus ihrer Aufstellung am Fuß der Kamineinfassung hervor. Sie setzten Trompeten an, die aussahen wie aus Muscheln gemacht, und bliesen ein langes, schrilles Signal. Wie zur Antwort hörte Utta ein leises, scharrendes Geräusch und dann ein metallenes
Pling,
als ob ein klitzekleiner Hammer auf einen ebenso winzigen Amboss schlüge.
»Preis dem
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