Das Spiel
er den Kopf einzog, um nicht an die Decke zu stoßen, wirkte er fast doppelt so groß wie Zinnober.
»Guten Abend, Magister«, sagte er. »Ich glaube, wir sind uns bereits begegnet.«
»Bei den ältesten Tiefen!« Zinnober war sichtlich verblüfft. »Chaven Makaros, nicht wahr? Ihr seid der Arzt — der, der angeblich tot ist.«
»Es gibt viele, die das gern hätten«, sagte Chaven mit einem bitteren Lächeln, »aber bisher hat sich ihr Wunsch noch nicht erfüllt.«
Zinnober wandte sich an seine Gastgeber. »Ihr überrascht mich schon wieder. Doch was habe ich damit zu tun?«
»Wir alle haben damit zu tun, glaube ich inzwischen«, sagte Chert. »Mein Stützwerk kann die Last all dieser Geheimnisse nicht mehr tragen, Magister. Ich brauche Eure Hilfe.«
Das Oberhaupt der Quecksilbersippe sah den Arzt an, dann wieder Chert. »Ich halte Euch von jeher für einen braven und ehrlichen Mann, Chert Blauquarz. Sprecht. Ich werde Euch zuhören. Das zumindest kann ich Euch versprechen.«
Als Ludis sah, dass sein Gast erschienen war, bedeutete der Protektor von Hierosol seinen Kommandeuren zu gehen. Die Offiziere in den schwarzen Mänteln rollten ihre Pläne der Befestigungsanlagen zusammen, verbeugten sich und verließen den Saal, nicht ohne noch ein paar verwunderte Blicke auf den Gefangenen zu werfen.
Ludis Drakava und sein Gast waren natürlich nicht ganz allein — beileibe nicht. Außer der Goldenen Garde, einer halben Fünfzigschaft Soldaten, die sich immer in unmittelbarer Nähe des Protektors hielt, selbst wenn er schlief, waren da auch noch seine persönlichen Leibwächter, zwei riesige krakische Ringer, die mit verschränkten Armen und unbewegter Miene zu beiden Seiten des Grünen Stuhls standen. (Der mächtige Jadethron von Hierosol hatte angeblich einst Hiliometes, dem Wurmtöter, selbst gehört und war allemal groß genug für einen Halbgott. In den letzten Jahrhunderten hatten Herrscher von menschlicheren Körpermaßen einen Gutteil des Sockels entfernen lassen, damit sie im Sitzen die Füße immerhin so nah am Boden hatten, dass ihr Stolz nicht litt.)
Ludis, selbst ein ehemaliger Söldner, war breit genug um Brust und Schultern, um auf dem Grünen Stuhl Platz nehmen zu können, ohne wie ein Kind zu wirken. Einst war er so durchtrainiert und muskulös gewesen wie eine Heldenstatue, aber jetzt konnte selbst die leichte Rüstung, die er anstelle des Prunkgewands trug — vielleicht, um seine Untertanen daran zu erinnern, dass er den Thron gewaltsam erlangt hatte und sich ebenso gewaltsam jedem Versuch widersetzen würde, ihn davon zu vertreiben —, den Speck um seine Mitte nicht verbergen, so wenig wie der spatenförmige Bart sein erschlaffendes Kinn gänzlich zu tarnen vermochte. Ludis winkte den Gefangenen heran, während er sich auf der ungepolsterten Jade niederließ. »Ah, König Olin.« Er hatte die raue Stimme eines Mannes, der sein ganzes Erwachsenenleben lang Befehle durchs Schlachtengetümmel gebrüllt hat. »Wie schön, Euch zu sehen. Wir sollten nicht Fremde füreinander sein.«
»Was sollten wir dann sein?«, fragte der Gefangene ohne hörbare Erbitterung.
»Gleiche. Herrscher, die die Umstände zusammengewürfelt haben, die aber beide wissen, was Herrschen bedeutet.«
»Ihr meint, ich sollte Euch nicht verübeln, dass Ihr mich gefangen haltet?«
»Euch bis zur Zahlung eines Lösegelds hierbehalte. Was eine durchaus gängige Praxis ist.« Ludis klatschte in die Hände, und ein Diener erschien. Er trug die Farben des Hauses Drakava, eine Tunika mit einem stilisierten rotäugigen Widder, einem Wappenzeichen, das noch nicht so lange im Wappensaal hing wie die anderer großer Familien.
Herrscher kann man an einem Tag werden,
lautete ein altes hierosolinisches Sprichwort,
aber Achtung und Ansehen zu erwerben, dauert fünfhundert Jahre.
»Wein«, befahl Ludis. »Und für Euch, Olin?«
Der zuckte die Achseln. »Wein. Eins wenigstens weiß ich: Ihr werdet mich nicht vergiften.«
Ludis lachte und griff sich an den Bart. »Nein, nein, wahrhaftig nicht! Das hieße, viel Geld wegzuwerfen.« Er wedelte zu dem Diener hin. »Du hast doch gehört. Los.« Er setzte sich zurecht und raffte den Pelzumhang enger um sich. »Kalt, dieser Seewind. Daran werden wir Tiefländer uns nie gewöhnen. Sind Eure Räume warm genug?«
»Ich habe es so komfortabel, wie man es mit Eisengittern an Türen und Fenstern haben kann.«
»Ihr seid immer an meiner Tafel willkommen. Im Speisesaal sind keine Gitter.«
»Nur
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