Das Spiel
uns vernichten, weil wir nicht an sie geglaubt haben. Wir können nicht länger so tun, als wäre es nicht so.«
Sie werden uns nicht vernichten,
sagte Gyir,
und selbst wenn es durchaus geschehen kann, dass Euresgleichen und unseresgleichen sich gegenseitig vernichten, wird es doch nicht das Werk der Götter sein.
Aber er klang jetzt nicht mehr so sicher wie eben noch, und Vansen fragte sich plötzlich, ob es wirklich stimmte, dass das Wahre Sprechen nicht lügen konnte.
Sie sind alle von der Erde verschwunden, schon lange. Nur einige ihrer minderen Kinder wie dieser entstellte Halbgott sind noch da.
Vansen musste tief Luft holen, so sehr schockierte ihn diese Blasphemie seitens einer nichtmenschlichen Kreatur — die Götter verschwunden?
Ich verstehe Euch immer noch nicht. Sva und Zo? Ich habe schon von ihnen gehört, ja, aber was ist mit Perin und dem Trigon? Was ist mit den Göttern, die wir kennen, in deren Tempeln wir beten?
Sie sind alle eine Familie,
sagte Gyir.
Eine Familie und ein Blut. Und lange bevor Euresgleichen oder meinesgleichen je auf die Idee kamen, ihre Nacktheit zu bedecken, wurde dieses Blut vergossen.
»Das ist doch sinnlos«, protestierte Barrick und hielt sich die Ohren zu, als könnte er so die lautlosen Worte abhalten. »Dieses ganze Gerede — alles! Das ändert doch nichts!« Sein Gesicht rötete und verzerrte sich. Der Junge weinte wieder und schaukelte mit dem Oberkörper. »Ich dachte, es seien alles nur Lügen der Priester. Aber jetzt werde ich b-b-bestraft ... für meinen elenden, verschissenen Drecksstolz!«
Vansen stand hastig auf und eilte zu dem Prinzen hinüber. »Hoheit, es ist nicht Eure Schuld ...«
»Lasst mich in Ruhe!«, schrie der Junge. »Sprecht nicht von Dingen, von denen Ihr keine Ahnung habt! Was wisst Ihr schon von einem Fluch wie meinem?« Er warf sich auf den Bauch und schlug die Stirn auf den Stein wie jemand, der es schrecklich eilig hat zu beten.
»Prinz Barrick ...! Barrick, steht auf ...« Vansen schob die Arme unter die Brust des Jungen und versuchte, ihn hochzuziehen, aber der Prinz wehrte sich und schlug dabei Vansen mit Wucht ins Gesicht.
Barrick schien es gar nicht zu merken. »Nein! Fasst mich nicht an!«, stöhnte er. »Ich bin schmutzig! Ich brenne!« In den Mundwinkeln des Jungen und an seiner Unterlippe hing schaumiger Speichel. »Die Götter haben mich ausersehen für dieses Leiden, diesen Fluch ...!«
Vansen zögerte nur kurz, holte dann aus und verpasste dem Prinzen eine kräftige Ohrfeige. Barrick stolperte und fiel auf die Knie, jetzt stumm vor Schreck. Seine Hand hob sich langsam an seine Wange. Er zog sie wieder weg und starrte sie an, als erwartete er, dass Blut daran klebte, obwohl ihn Vansen nur mit der flachen Hand getroffen hatte. »Ihr ... Ihr habt mich
geschlagen!«
»Ich bitte um Verzeihung, Hoheit«, sagte Vansen, »aber Ihr müsst Euch beruhigen, und sei es nur um Eurer selbst willen. Wir können es uns nicht leisten, die Wachen hier herunterzulocken oder in Streit mit den anderen Gefangenen zu geraten. Ihr mögt mich für mein Vergehen strafen, wie Ihr wollt, wenn wir je nach Südmark zurückkehren. Ihr mögt mich sogar hinrichten lassen, wenn es Euch beliebt ...«
»Hinrichten?«, sagte Barrick, und von einem Moment auf den anderen war das wütende Kind verschwunden. An seiner Stelle war da jemand, der genauso aussah, aber geradezu unheimlich beherrscht war. Barricks Zorn, der eben noch gelodert hatte, war jetzt eisig. »Ihr seid ein Narr, wenn Ihr glaubt, Ihr kämt so leicht davon. Wenn das Unmögliche eintritt und wir jemals lebend nach Südmark zurückkehren, werde ich meiner Schwester sagen, was Ihr für sie empfindet, und Euch zu ihrer Leibwache abkommandieren, damit Ihr sie jeden Tag sehen müsst, in dem Wissen, dass sie Euch voller Abscheu betrachtet, dass sie und ihre sämtlichen Hofdamen den anmaßendsten und jämmerlichsten Idioten bestaunen, den es je gab.«
Der Prinz wandte sich ab. Gyir schien in seine eigenen, geheimen Gedanken versunken. Ferras Vansen blieb nichts anderes übrig, als stumm dazusitzen. Er hielt sich die Magengegend, als hätte er einen Fußtritt bekommen.
22
Ein Zunfttreffen
Als Hochzeitsgabe schenkte Silberglanz Bleicher Tochter ein hölzernes Kästchen, verziert mit Vogelschnitzereien, und da hinein tat sie all ihre Erinnerungen an ihre Familie und ihr altes Zuhause. Wenn sie das Kästchen öffnete, besänftigte seine Musik ihr Herz. Doch ihr Vater Donner konnte keine Musik machen,
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