Das Spiel
diesen anderen Bänden aufgezeichnet haben mögen, bebe ich regelrecht.«
»Chaven, ich ...«
»Ich weiß, dass Ihr Euch einer solchen Aufgabe nicht gewachsen fühlt, Chert, aber vielleicht ja einer der Metamorphose-Brüder? Die haben doch sicher Gelehrte in ihren Reihen, die mir helfen könnten ...«
Die Vorstellung, die traditionsverhafteten Metamorphose-Brüder könnten sich darauf einlassen, altehrwürdige Funderlingsweisheiten in eine der Großwüchsigensprachen zu übersetzen, schien Chert grotesk. Er wollte gar nicht daran denken, dass es ihm zufallen könnte, sie darum zu bitten. Außerdem gab es Wichtigeres. »Chaven, ich ...«
»Ich weiß, ich sollte erst einmal meine eigenen Probleme lösen — die, die ich jetzt auch zu Problemen Eures Volkes gemacht habe. Ja, das ist mir klar.« Er schüttelte den Kopf. »Aber so zu tun, als sei das hier alles gar nicht vorhanden, fällt mir sehr schwer ...«
»Chaven, würdet Ihr mir bitte zuhören?«
Der Arzt blickte überrascht auf. »Was ist denn, mein Freund?«
»Ich versuche die ganze Zeit, Euch etwas zu sagen, aber Ihr redet immer weiter über diese Bücher. Es ist etwas geschehen, etwas ... Beunruhigendes.«
»Was denn? Dem Knaben Flint fehlt doch hoffentlich nichts?«
»Nein«, sagte Chert. Ja, darüber zumindest konnte er froh sein: Flint hatte zwar das Gedächtnis noch nicht wiedererlangt, schien aber nach der Behandlung mit Chavens Spiegeln auf dem Weg der Besserung. Er wirkte jetzt wieder präsenter, und obwohl er noch immer wenig sprach, nahm er doch zumindest am häuslichen Leben teil. Opalia war so glücklich wie seit einem Monat nicht mehr. »Nein, es ist etwas anderes. Wir haben eine Botschaft aus dem Schloss erhalten.«
»Eine Botschaft?«
»Von Bruder Okros. Er bittet die Funderlinge um Hilfe.« Chaven kniff die Augen zusammen. »Dieser Verräterl Was will er?«
Chert streckte dem Arzt den Brief hin. Chaven suchte nach seiner Brille, bis er sie schließlich in einer seiner Taschen fand. Er legte den Bistrodos-Band widerstrebend weg, setzte die Brille auf und nahm sich den Brief vor.
An die geschätzten Ältesten der Steinhauerzunft mit freundlichem Gruße! Vom ehrenwerten Okros Dioketian, Leibarzt des Olin Alessandros, Prinzregent von Südmark und den Markenlanden, und der Regentenmutter, Königin Anissa.
In seinem Zorn hätte Chaven den Brief beinahe fallen lassen. »Dieser Gauner! Und seht nur, wie er den eigenen Namen vor den des Königssohnes und der Königin setzt. Hat er denn keinen Funken Demut im Leib?« Es dauerte einen Augenblick, bis er sich beruhigt hatte und weiterlesen konnte.
Ich ersuche Eure erhabene Zunft in einer kleinen Frage der Gelehrsamkeit um Unterstützung und versichere Euch dafür meiner Dankbarkeit ebenso wie des Dankes der Königin und Mutter des Prinzregenten. Schickt mir einen von Euch auf die Burg, der auf dem Gebiete der Spiegel, ihrer Herstellung und Reparatur, ihrer Stofflichkeit und Eigenschaften, in besonderem Maße bewandert ist.
Seid schon im Voraus bedankt für Eure Hilfe. Bitte lasst außerhalb Eurer Zunft nichts davon verlauten, denn es ist der ausdrückliche Wunsch der Königin, dass dies geheim bleiben möge, damit unter den Unwissenden, die über Spiegel und dergleichen abergläubische Vorstellungen hegen, kein Gerede aufkommt.
»Und hier ist die Unterschrift — oh, und auch ein Siegel!« Chavens Stimme war kalte Verachtung. »Er hat es wirklich weit gebracht.«
»Aber wie denkt Ihr darüber? Was sollen wir tun?«
»Natürlich das, was er verlangt — jemanden zu ihm schicken. Und das kann kein anderer sein als Ihr, Chert.«
»Ich habe aber keine Ahnung von Spiegeln ...!«
»Das wird sich ändern, wenn Ihr Bistrodos lest.« Chaven hob den schweren Folianten hoch und ließ ihn dann auf die Tischplatte fallen, was klang, als bräche ein schlecht abgestützter Stollen ein. »Und ich werde Euch beibringen, wie ein Meister der Kaptromantie zu reden.«
Chert erschien das alles so absurd, dass er nicht einmal mehr widersprach. »Aber wozu?«
»Okros Dioketian will hinter die Geheimnisse
meines
Spiegels kommen — und Ihr müsst herausfinden, was er im Schilde führt.« Chaven war jetzt ungewöhnlich bleich und beschwor ihn eindringlich: »Ihr
müsst es
tun, Chert. Ihr seid der Einzige, dem ich vertraue. Nicht auszudenken, welches Unheil dieser Spiegel in den Händen von jemandem wie Okros anrichten könnte!«
Chert schüttelte verzweifelt den Kopf — nicht, weil er noch geglaubt hätte,
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