Das Spiel
diese Aufgabe von sich weisen zu können. Er malte sich bereits aus, wie Opalia
darauf
reagieren würde.
Trotz Lisiyas heilender Hände hatte Briony immer noch Schmerzen an allen möglichen Stellen, aber es tat ihr gut, wieder unter Menschen zu sein. Es war weit angenehmer, in Gesellschaft dahinzuwandern, und das weite Grasland, dessen Eintönigkeit nur hin und wieder von einem kleinen Weiler, einem Dorf oder gar einem Marktstädtchen unterbrochen wurde, zog dadurch viel schneller vorbei. Weil sie ihre Tarnung nicht gefährden wollte, sprach sie nur wenig. Am zweiten Abend hatte sich allerdings Estir Makswell am Lagerfeuer neben sie gesetzt und leise gesagt: »Meinetwegen kannst du gern versuchen, dich in dieser grimmigen Gegend als Junge durchzuschlagen. Wenn du aber mir oder der Truppe Ärger machst, Mädchen, werde ich dir die Haare ausreißen — und so lange auf dich einschlagen, bis du nicht mehr weißt, wer du bist.«
Ein eigenartiger Willkommensgruß, den ihr die einzige Frau der Truppe entbot, aber Briony hatte ohnehin nicht damit gerechnet, dass sie sich anfreunden würden.
Wenn sie also bis Syan bei der Truppe bleiben konnte, was dann?
Sie war dankbar, dass sie diese Reisegefährten gefunden hatte, konnte sich aber nicht vorstellen, dass einer der Schauspieler ihr in Tessis noch eine Hilfe sein würde. Wie ihr Teodorus, das freundliche, aber scharfäugige Oberhaupt der Truppe erklärt hatte, war diese nach Estirs Bruder Pedder Makswell benannt, dem Schauspieler mit der Liebe zum Wein (und laut Teodorus auch zu schönen Jünglingen). Die Truppe hatte ihn zu ihrer Galionsfigur erwählt, weil er bekannt dafür war, die großen Rollen mit tragender Stimme und eindrucksvoll vorzutragen. Die Gründlinge, hatte Teodorus gesagt, liebten Makswell für seinen Bombast, aber auch für seine tragischen Sterbeszenen: »Sein Xarpedon haucht, einen Pfeil im Herzen, sein Leben aus, und obwohl dieser mächtige Autarch zuvor halb Xand niedergemetzelt hat, kommen den Leuten die Tränen, wenn sie ihn seine letzten Worte flüstern hören.«
Nevin Kennit, der Stückeschreiber, war mindestens so bekannt wie Makswell, aber nicht wegen seiner schauspielerischen Fähigkeiten. Laut Teodorus war Kennit auf der Bühne bestenfalls mittelmäßig und interessierte sich für das Metier nur insoweit, als er damit die Aufmerksamkeit des schönen Geschlechts auf sich zu ziehen vermochte. Er war jedoch berühmt-berüchtigt für seine Stücke, insbesondere für solche wie
Die fürchterliche Feuersbrunst,
die manche Leute gotteslästerlich nannten. Kalt jedenfalls ließen sie niemanden: Briony hatte Chaven, den Hofarzt, oft sagen hören, Kennits
Tod des Karal
versöhne ihn schon fast mit den grässlichen, effekthascherischen Verbrechen an der Sprache, welche die Theaterschriftstellerei begehe.
»Als er seine Stimme als Dichter erst einmal gefunden hatte, brach es wie ein Feuerwerk aus ihm hervor«, erzählte Teodorus ihr eines Morgens im Dahinwandern, während der Besagte vor ihnen hertrottete und die Nachwirkungen der Zecherei vom vergangenen Abend verfluchte. »Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal
Das Eidolon von Devonis
sah und begriff, dass das auf der Bühne gesprochene Wort ein Tor in eine nie gekannte Welt aufzustoßen vermag. Aber da war er noch jung. Starke Getränke und die ihm eigene Übellaunigkeit haben sein Genie stumpf werden lassen, und das Schreiben bleibt nun größtenteils mir überlassen.« Teodorus schüttelte den Kopf. »Es ist ein Frevel gegen die Götter, solche Gaben zu vergeuden, denn sie gewähren sie nur wenigen.«
Makswells Schwester Estir, die einzige Frau der Truppe, trat nicht auf der Bühne auf, erfüllte aber viele andere wichtige Aufgaben. Sie war die Schneiderin und kümmerte sich um die Kostüme, kassierte das Eintrittsgeld und führte die Bücher. Der hünenhafte Dowan Birk mit den buschigen Augenbrauen und dem finsteren Blick mochte zunächst wie ein wilder Mann wirken, war aber erstaunlich liebenswürdig und gab kluge Dinge von sich. Teodorus nannte ihn »einen kräftigen Schluck Vornehmheit, abgefüllt in ein Fass statt in eine Flasche«. Abgesehen von seiner Riesenhaftigkeit und seinem Äußeren schien er gar nicht geeignet, die Dämonen und Ungeheuer zu spielen, die nun einmal sein Rollenfach waren. Der zweite Mann nach Makswell, der in Hauptrollen auftrat, war der hübsche junge Feival, dessen Liebschaften mit Teodorus und Makswell schon Jahre zurücklagen. Er war aber noch immer so jung
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