Das Spiel
dass sie uns fürchten, die wir nicht nur Könige und Prinzen, sondern sogar die Götter selbst zu imitieren vermögen! Und das ist noch längst nicht alles. Wir imitieren auch noch
Gefühle ...
und sogar das
Sein.
Der größte Betrüger, den es gibt, ist der Schauspieler!«
»Oder der betrunkene Schreiberling«, versetzte Feival belustigt, aber inzwischen doch auch ein wenig gereizt, »der sich an dem, was seinem Mund entspringt, freut wie ein Kind an seinen Speichelblasen.«
»Sehr gut, Junge, ausgezeichnet«, lobte Kennit. »Vielleicht wird aus dir doch noch ein Dichter.«
»Warum soll ich mir die Mühe machen, wenn die meisten Dichter mir jederzeit gern etwas dichten, sobald ich ihnen meinen Hintern zeige?«
»Weil dieser Alabastersockel eines Tages alt und fleckig sein wird und so runzlig wie ein Truthahnhals. Ich weiß, wovon ich spreche, denn einst war ich der hübscheste Junge in Helmingsea.«
»Und jetzt seid Ihr kein Verkäufer mehr, sondern ein Käufer, und jede ansehnliche Schankmagd bekommt etwas von Eurer Poesie, wenn sie auch nur ein Quäntchen Bewunderung heuchelt, Meister Kennit.« Feival unterhielt sich prächtig. »Man kann also auch mit Lügen handeln — das scheint mir im Kern zu sein, was Ihr sagen möchtet. Wir sind auf einem großen Markt, und wie es da zugeht, weiß doch jeder Bauer.«
»Aber niemand weiß es so gut wie wir Schauspieler«, insistierte Kennit. Briony fiel auf, dass seine Aussprache jetzt kaum noch verwaschen war.
Für die Runde am Feuer schien dies ein wohlvertrautes Spiel. Sie stachelten Kennit an, schenkten ihm Bier nach und versuchten ihn mit Fragen zu provozieren.
»Was fürchten denn Schauspieler?«, rief einer.
»Und was genau wissen Schauspieler?«, fragte Waterman.
»Schauspieler fürchten, dass man sie unterbricht«, fauchte Kennit. »Und sie wissen ... sie wissen alles, was wichtig ist. Was denkt ihr, warum die Leute sagen: ›Geh und frag im Wirtshaushof‹, wenn ihnen etwas ein Rätsel ist? Weil sie wissen, dass dort die Schauspieler ihre Bühne aufschlagen. Warum sagen sie: ›Ebenso gut kannst du die Maske fragen, wessen Gesicht sie verbirgt‹? Weil sie wissen, dass Geheimnisse der Stoff des Lebens sind und wir Schauspieler sie alle kennen und in Szene setzen, wenn man uns anständig bezahlt. Denkt nur an den alten Konnetabel Brone — oder an den neuen Vogt Fretup! Sie wissen, wessen Ohren alles aufnehmen und wer auch die schmutzigsten Geheimnisse kennt ...« Kennits Kopf schwankte auf dem Hals. Er schien plötzlich den Faden verloren zu haben. »Sie wissen ... sie wissen genau, wer ... in den Hinterhöfen und Gassen der Wahrheit auf die Spur kommt und sie, für ein paar Silbermünzen, in den Hallen der Großen und Mächtigen ausspricht ...«
»Vielleicht ist es an der Zeit, Nevin, dass Ihr einen Spaziergang macht«, sagte eine Stimme direkt hinter Briony. Sie fuhr zusammen, und fast wäre ihr wieder ein Schrei entschlüpft. Finn Teodorus stand auf den Stufen des Wagens, und seine massige Gestalt verdeckte die Tür fast völlig. »Oder einfach zu Bett geht. Wir haben eine weite Strecke und einen langen Tag vor uns.«
»Ich rede zu viel«, sagte Kennit. »Ja, Bruder Finn, Ihr habt recht. Die Götter wissen, dass ich nie jemanden mit meiner übereifrigen Zunge würde kränken wollen.« Er lächelte Briony so liebenswürdig an, wie es einem benommen blinzelnden, schwitzenden Mann nur möglich war. »Vielleicht möchte unser neuestes Mitglied ja ein Stück mit mir spazieren. Ich werde auch von harmloseren Dingen reden — von den Anfangszeiten des Theaters, als die Schauspieler als Verbrecher galten und nie zwei Nächte hintereinander am selben Lagerplatz bleiben konnten ...«
»Nein, ich denke, Tim wird mit mir kommen.« Mit strenger Miene sagte Teodorus: »Ihr seid ein Narr, Nevin.«
»Aber einer, der sich nicht verstellt«, erwiderte Kennit, noch immer lächelnd. »Ein ehrlicher Narr.«
»Soweit Schlangen ehrlich sein können«, warf Feival ein.
»Sie sind auf ehrliche, unverstellte Art Schlangen«, gab Kennit zurück, und alle lachten.
»Wovon hat er geredet?«, fragte Briony. »Ich habe kaum etwas von all dem verstanden.«
»Das ist auch gut so«, sagte Teodorus und fuhr dann, als wollte er nicht länger bei dem Thema verweilen, hastig fort: »Sag, Tim ... mein Mädchen« — er grinste — »wie lange ist es her, dass du Südmark verlassen hast?«
»Ich weiß es nicht genau.« Sie wollte keine allzu wahrheitsgemäßen Angaben machen,
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