Das Spiel
Sklaven auf einer Rampe zur Mündung der Kanone gerollt wurde — »werden die Mauern Hierosols nicht durchschlagen können. Diese Mauern sind zwei Dutzend Klafter dick und einwandfrei gebaut!«
Zum ersten Mal verschwand das Lächeln des Autarchen. »Glaubt Ihr etwa, ich wäre mir dessen nicht bewusst, Hoher Polemarch?«
Wie ein Mann, der mit einem Fuß über den Rand eines bodenlosen Abgrunds getreten ist, bemerkte Johar, in welcher Gefahr er schwebte, und machte einen abrupten Rückzieher. »Gewiss nicht, o Goldener. Ihr seid der Lebende Gott auf Erden. Ich bin nur ein Sterblicher und ein Dummkopf. Belehrt mich.«
»Irgendjemand sollte es wohl tun. Wir werden die Kanonen so lange auf eine einzige Stelle der Mauer schießen lassen, bis sie einbricht. Dann werden wir unsere Truppen landen und hineinschicken.«
»Aber ... uns alle miteinander durch eine einzige Bresche in diesen gewaltigen Mauern zwängen? Sie werden Feuer, Pfeile und siedendes Öl auf unsere Soldaten regnen lassen. Bei einem solchen Angriff werden wir Tausende Männer verlieren!« Johar war so verblüfft, dass er für einen Moment seine eigene riskante Lage vergaß. »Tausende und Abertausende!«
»Mein Schicksal — das Schicksal der Welt — ruht auf meinen Schultern.« Sulepis' blasse Augen glitzerten unmenschlich wach, unmenschlich lebendig. »Diese Männer sind glücklich, für ihren Autarchen leben zu dürfen, warum sollten sie nicht auch glücklich sein, für ihn sterben zu dürfen? Sie werden schließlich die Ewigkeit im goldenen Glanze meines Vaters Nushash zubringen.« Der Autarch lachte — das gurrende Lachen eines Mannes, der gleichgültig-amüsiert über die Ermordung Tausender nachsinnt. »Jetzt lasst uns mal sehen, was uns unser erstes Königliches Krokodil zu bieten hat, ja?«
Johar, dessen braunes Gesicht einen Hauch blasser wirkte als sonst, verbeugte sich mehrmals, während er rückwärts von der goldenen Sänfte mit dem Stuhl des Autarchen stieg, gab dann mit den Armen ein Zeichen und brüllte seinen Generälen einen Befehl zu. Das Kommando lief rasch durch die Befehlskette, bis sich der Geschützmeister hinabbeugte und noch einmal an den quietschenden Rädern drehte, die das wütende Reptilienmaul in der Höhe justierten. Als er zufrieden war, richtete sich der Geschützmeister kerzengerade auf und wischte sich den Schweiß ab, der an diesem kalten Tag sein Gesicht überzog.
»Auf Befehl des Herrn des Großen Zeltes!«, bellte er. »Zum Ruhme des Himmels und des ewigen Xis!«
Der Gott auf Erden wedelte lässig mit der linken Hand. »Ihr dürft feuern.«
»Feuer!«, rief der Geschützmeister. Ein Mann ohne Hemd senkte den Kopf einer brennenden Fackel in das Zündloch der Kanone.
Einen Augenblick war es so still, dass es schien, als hätte das Geschütz alle Geräusche aus der Welt herausgesaugt. Erst als Vash gerade bemerkte, dass die Wellen der Wasserstraße immer noch murmelten und die Möwen über ihnen immer noch schrien, ging die Kanone los.
Einige Atemzüge später rappelte sich der Oberste Minister von Xis auf die Knie empor; er war sich sicher, dass er nie wieder etwas hören würde: Sein Kopf brummte wie die Stöcke mit den heiligen Bienen des Feuergottes. In der Luft ringsum hing eine Rauchwolke, die langsam vom Wind verweht wurde. Die Kanone war mehrere Schritt zurückgerollt und hatte zwei unglückliche Soldaten zermalmt. Der Geschützmeister blickte finster auf die blutigen Überreste unter den Rädern. »Wir müssen Sand drunterschütten oder sie anketten«, sagte er. »Sonst müssen wir sie jedes Mal wieder in Stellung bringen, und das Abfeuern dauert noch länger.« In Vashs pochenden Ohren klang es, als würden die Worte in etlichen Meilen Entfernung geflüstert.
»Das macht nichts«, meinte der Autarch, und seine Stimme klang kaum minder gedämpft. »Ach, war das ein herrlicher Anblick. Und seht, dort!« Er zeigte mit der behandschuhten Hand.
Auf der anderen Seite der Wasserstraße war ein Stück hellen Steins von der Größe eines Palasttors aus der mächtigen Seemauer Hierosols geschmettert worden, und an seiner Stelle war da jetzt ein dunklerer Fleck wie eine Wunde. Auf der Mauer rannten winzige Soldaten herum wie aufgeschreckte Ameisen, außerstande, so etwas für möglich zu halten, nicht willens zu glauben, dass irgendetwas ein Geschoss so weit zu schleudern, geschweige denn den mächtigen, alten Verteidigungsanlagen tatsächlich eine Scharte zuzufügen vermochte.
»Ah, sie hören uns
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