Das Spiel
sie, meine tugendhafte Base! Lebt Ihr noch, liebliche Tochter des Himmelsvaters? Wer hat Euch so Schreckliches angetan?« Es war Feival, der sich über sie beugte und nach besten Kräften improvisierte, um ihr Zeit zu verschaffen, wieder aufzustehen. Sie öffnete die Augen und sah in das besorgte Gesicht des jungen Schauspielers. Was war passiert? Dieses grausige, alptraumhafte Gesicht ...!
»Könnt Ihr gehen, Base?«, fragte Feival und versuchte, den Arm unter sie zu schieben, um sie hochzuheben. »Soll ich Euch helfen?« Er brachte den Mund nah an ihr Ohr und flüsterte: »Was soll das, Mädchen?«
Sie schüttelte seine Hand ab und rappelte sich mühsam auf. Sie spürte die Anspannung, die über Schauspieler wie Zuschauer gekommen war. Letztere waren sich zwar nicht ganz sicher, was da vor sich ging, aber es dämmerte ihnen, dass etwas nicht stimmte. Sie durfte nicht an Barrick denken. Nicht jetzt. Das hier war wie zu Hause bei Hofe, etwas, das sie kannte: Sie musste ihre Maske aufsetzen.
»Oh, edler ...« Sie wankte und schnappte nach Luft. »Oh, edler Vetter, guter Zosim«, begann sie noch einmal. »Ja, ich vermag zu gehen, jetzt ... jetzt da Ihr hier seid, mich aus diesem garst'gen Wind zu führen.« Sie hörte Finn Teodorus hinter der Bühne erleichtert aufatmen, obwohl er mindestens ein halbes Dutzend Schritte von ihr entfernt stand.
Die letzten Zuschauer standen noch im Hof herum, beendeten ihre Mahlzeiten und tranken aus. Ein paar betrunkene Lehrburschen diskutierten überlaut, welche der Göttinnen sie am liebsten küssen würden. Estir und Pedder Makswell hatten sich mit Bedoyas, dem Wirt, nach drinnen zurückgezogen, um die Einnahmen des Nachmittags aufzuteilen, während Teodorus, Kennit und der Rest der Truppe die gelungene Aufführung mit etlichen Krügen Bier feierten.
Briony fühlte sich immer noch wacklig. Sie saß allein auf der Bühnenkante, einen Krug in der Hand, ohne zu trinken, und starrte auf ihre Schuhspitzen. Was war mit ihr passiert? So etwas hatte sie noch nie erlebt — nicht einmal an dem Tag, als sie Barricks Gesicht im Spiegel gesehen hatte, denn diesmal war sie Barrick
gewesen!
Und wer oder was war dieses grässliche, graue ... Etwas? Sie fühlte Galle ihre Speiseröhre emporsteigen. Was konnte sie denn tun? Nichts! Sie wusste ja nicht einmal, wo er war. Es war wie ein Fluch — sie konnte nichts tun, um ihrem eigenen Bruder zu helfen! Nichts, nichts, nichts ...
»Wie ich sehe, edles Fräulein, habt Ihr meinen Rat doch noch befolgt.«
Einen Augenblick konnte sie den Mann nur verdutzt anstarren — die Stimme kam ihr bekannt vor, und auch das dunkelhäutige Gesicht hatte sie schon gesehen, aber sie konnte sich nicht erinnern ...
»Dawet!« Sie rutschte von der Bühne und verschüttete fast ihr Bier. Im ersten Augenblick war es eine so freudige Überraschung, einen Bekannten zu treffen, dass sie ihm fast um den Hals gefallen wäre. Dann fiel ihr wieder ein, dass sie sich nur deshalb kennengelernt hatten, weil Dawet dan-Faar als Ludis' Gesandter nach Südmark gekommen war, um im Auftrag des Entführers ihres Vaters zu verhandeln.
Er lächelte, wohl wegen ihrer offensichtlichen Verwirrung. »Ihr erinnert Euch also an mich. Dann werdet Ihr vielleicht auch noch wissen, dass ich damals sagte, Ihr solltet etwas von der Welt sehen, edles Fräulein. Ich dachte nicht, dass Ihr Euch meinen Rat so zu Herzen nehmen würdet. Ihr seid jetzt also Schauspielerin?«
Ihr wurde plötzlich bewusst, dass Leute herübersahen — nicht nur Mitglieder der Truppe. »Leise«, flüsterte sie. »Ich bin hier kein Mädchen und schon gar keine Prinzessin.«
»Ihr gebt Euch als Junge aus?«, murmelte er leise. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Euch das irgendjemand abnimmt. Aber was
tut
Ihr hier, in so abwegiger Aufmachung und Gesellschaft?«
Sie fixierte ihn misstrauisch. »Das Gleiche frage ich Euch. Warum seid Ihr nicht in Hierosol? Seid Ihr aus Ludis Drakavas Diensten geschieden?«
Er
schüttelte den Kopf. »Nein, edles Fräulein, obgleich viele, die klüger sind als ich, es bereits getan haben ...« Er sah auf und spähte mit zusammengekniffenen Augen an ihr vorbei. »Was ist das?«
Bedoyas, der Wirt, und die beiden Makswells kamen über den Hof auf sie zu, aber es war ihr Geleit — ein Dutzend Bewaffnete, die das Wappen des Stadtvogtes trugen —, das Dawets Aufmerksamkeit erregt hatte. Einen Augenblick starrte Briony nur verwundert hin, dann erst wurde ihr klar, dass sie diejenige war,
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