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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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Kupilas und Devona mit der Harfe die Herzen derer erfreuen, die uns zusehen«, sagte Teodorus wie vor jeder Vorstellung feierlich, die Hand auf der Brust. »Und jetzt los!«
     
    Während der ersten drei Akte ging alles glatt. Der Hof war dicht gefüllt, aber es war ein wolkenverhangener, kalter Abend, und die blendenden Fackeln zu beiden Seiten der Bühne machten es Briony schwer, mehr als nur schemenhafte Gesichter unter den Kapuzen und Hüten im Publikum zu erkennen. Das Zuschauervölkchen schien zwar etwas wohlhabender als sonst, bestand aber dennoch hauptsächlich aus einfachen Leuten. Mehrere Horden junger Männer (Lehrburschen, die sich einen feuchtfröhlichen Nachmittag machen wollten) standen ganz vorn und fielen durch rüpelhafte Zwischenrufe und lautes Pfeifen auf, sooft Feival, Briony oder irgendein als Frau verkleideter Schauspieler auftrat. Dass es heilige Göttinnen waren, die sie so lüstern begafften, schien sie nicht weiter zu stören.
    Bei Briony selbst lief es viel besser, als sie befürchtet hatte. Es war gar nicht so schwer, den Text zu behalten — dadurch, dass man ihn immer wieder sprach, Tag für Tag, wurde er einem bald so vertraut wie die Namen von den Menschen, die man ständig um sich hatte. Und wenn sie doch mal einen Aussetzer hatte, war das Spiel der anderen wie ein Gerüst, an dem sie sich darüber hinweghangeln konnte. Die Geschichte selbst war spannend — das konnte sie an den Reaktionen des Publikums ablesen, an den ängstlichen Aufschreien und den freudigen Juchzern, wenn die Handlung diese oder jene Wendung nahm. Als Perin seine Streitmacht zum Angriff auf die mächtige Feste des Khors führte — wobei der Wagen nicht nur als Umkleide diente, sondern auch als belagerte Mondburg, auf der Pilney den anstürmenden Kriegern trotzte —, johlten die Leute begeistert, und einige schienen schon beinah die Bühne stürmen zu wollen, um sich ins Kampfgetümmel zu stürzen. Als Perins Sohn Volios von Khors getötet wurde und Dowan Birk fiel wie der Baum, nach dem er benannt war, und dabei das Blut zwischen seinen in den Leib gekrallten Händen hervorströmte, meinte Briony, tatsächlich ein paar Schluchzer zu hören.
    Es war im vierten Akt — die jungfräuliche Göttin schlich der abgelenkten Zuriyal davon und floh aus der Festung, nur um in einen rasenden Schneesturm zu geraten (mit flatternden Tüchern auf Stöcken und dem Ächzen des Windrads in der Rolle der Natur) —, als plötzlich alles schiefging.
»Der Schnee! Er sticht wie Zmeos' rohe Bienen
Und schrumpft zu Pockenleder meine bloße Haut!
Die Kleider dieses Dienerknaben will ich überwerfen.
Entwürd'gen auch mein Maidentum sie, meiner Qualen Quell,
so werden sie doch vor dem Kältetod mich schützen ...«
    Im nächsten Moment sah sie vor sich nur noch einen sich rasch verengenden Tunnel von Licht: Die Fackeln und der bewölkte Himmel verwirbelten miteinander, während von allen Seiten das Schwarz hereinstürzte. Sie wankte, fing sich aber wieder und schaffte es, ihren Text zu beenden, obwohl die Welt immer noch ein seltsamer Funkentanz war, als umschwebten sie Glühwürmchen.
» ... Wenngleich gewärmt, so bin ich doch verloren,
und ohne Nahrung ist, ob warm, ob kalt, mein Tod gewiss.«
    Kurz darauf, als sie sanft auf die Knie hätte sinken sollen, tat sie es Dowan Birk nach und krachte auf die Bretter. Und wieder wurde es dunkel um sie. Sie hörte nichts mehr, nicht einmal die mit Sackleinen bespannte Drehtrommel, die das Windgeräusch hervorbrachte, und sie fühlte nichts außer einer überwältigenden Nähe zu Barrick — etwas, das intensiver war als jeder Duft oder Klang, das Gefühl,
in
den angstvollen, wirren Gedanken ihres Bruders zu sein.
    Aus dem Dunkel kam ein grässliches Etwas auf sie zu, ein klapperdürrer Schatten mit leichenhaft grauem Gesicht. Zuerst glaubte sie in ihrer erschrockenen Verwirrung, es wäre der Tod, der sie holen wollte. Dann merkte sie, dass es offenbar etwas war, das sie durch die Augen ihres Zwillingsbruders sah — eine ausdruckslose Maske mit glimmenden Mondsteinaugen, die immer näher heranglitt. Es war nicht der Tod, aber sie wusste, es war etwas ebenso Endgültiges und weit weniger Gnädiges.
    Sie wollte den Namen ihres Bruders rufen, brachte aber — wie in so vielen Alpträumen — keinen Ton heraus. Das gespenstische graue Gesicht kam immer noch näher, so grauenerregend, dass die Schwärze wieder über sie hereinbrach.
    »Zoria!«, rief eine laute Stimme in ihr Ohr. »Da liegt

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