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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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gefüllte Körbe, Schwarzgrunds tödlichen Speer und vieles mehr.

Doch er war jetzt im Herzen so krumm geworden, wie sein Name besagte, sein Gesang nicht nur düster, sondern bitter. Er sann und träumte, sah aber keinen Weg, wie er es mit der Macht der Brüder aufnehmen könnte, deren Gesänge in der Blüte ihrer Kraft standen. Da fiel ihm eines Tages seine Urgroßmutter ein, das einzige Wesen, dessen Leere der seinen glich, und er ging zu ihr und erlernte all ihre Künste. Er lernte, ihre Wege zu gehen, die niemand sonst sehen konnte, die aber überallhin führten. Er lernte auch noch vieles andere, hielt es aber lange verborgen und wartete, dass seine Zeit käme.
    Einhundert Grundsteine,
Buch der Trauer
    Der Fremde, der sie gefangen genommen hatte, konzentrierte sich ganz auf das rostige Schloss. Ohne eine Miene zu verziehen, stocherte er mit dem Metallstreifen, den er aus dem Ärmel gezogen hatte, im Spalt des Tors herum. Auf seiner Oberlippe stand etwas Schweiß. Qinnitan wandte sich möglichst unauffällig um und versuchte, nicht zu offensichtlich zu dem Trupp Soldaten hinüberzublicken, der rund hundert Schritt entfernt am Fuß der Mauer Trümmer wegräumte. Sie, Spatz und der Fremde kauerten im Schatten eines Aquädukts ziemlich weit unten am Zitadellenhügel.
    »Du fragst dich, ob du diese Garden zu Hilfe rufen könntest«, sagte der Fremde in seinem sonderbar makellosen Xixisch, ohne den Kopf zu heben. »Dort, wo ich aufgewachsen bin, in der Segelmacherstraße nahe am Hafen, beherrschten die Fischer das Kunststückchen, mit dem Messer eine Auster aus der Schale zu pulen, in die Luft zu schleudern und mit der Messerspitze wieder aufzufangen. Einhändig.« Er öffnete die freie Hand und zeigte ihr eine kleine, gekrümmte Klinge. »Eine Bewegung, und ich führe dir den Trick vor — allerdings mit dem Auge des Jungen.«
    Spatz klammerte sich noch fester an Qinnitans Hand.
    »Ihr seid in Xis aufgewachsen?« Vielleicht half es ja irgendetwas, wenn sie den Mann zum Reden brachte. »Wie kann das sein? Ihr seht doch wie ein Nordländer aus.«
    Er ließ sich nicht ablenken. Die einzige Antwort war das Raspeln des Metallstreifens und das Klicken, als er das Schloss schließlich bezwungen hatte. Das Tor schwang auf, und sie krochen hindurch. Dann zog der Fremde sie und Spatz auf die Füße und trieb sie eine baufällige Steintreppe hinunter, die um die Flanke des steilen Zitadellenhügels führte. Qinnitan stolperte immer wieder wegen ihrer Fußfessel. Zur Seeseite hin war der Himmel verdüstert. Sie hielt es zuerst für Nebel, erkannte dann aber, dass es Rauch war. Irgendwo feuerten Kanonen, aber es klang wie fernes Donnergrollen, wie ein Unwetter in einem anderen Land.
     
    Der Nektarios-Hafen lag in Trümmern, das Wasser war übersät mit treibenden Wrackteilen verbrannter und zerschmetterter Schiffe. Der halbe Lagerhausbezirk stand in Hammen und loderte unkontrollierbar. Es waren gerade genug Soldaten übrig, um der Feuersbrunst so weit Einhalt zu gebieten, dass sie nicht hügelaufwärts auf den Tempelbezirk oberhalb von Demians Hain oder die Reichenhäuser am Sperlingshügel übergriff. Ganz vom Kampf mit den Flammen in Anspruch genommen, achteten sie gar nicht auf den Fremden und die beiden kleineren Gestalten, die zweifellos seine Kinder sein mussten. Ein rußverschmierter Soldat, den der goldene Seeigel auf dem Waffenrock als Angehörigen der Seewacht kennzeichnete, rief ihnen im Vorübereilen etwas zu, das Qinnitan nicht verstand, doch als ihr Entführer bestätigend die Hand hob, gab sich der Mann offensichtlich zufrieden und trabte weiter.
    Auf der Seemauer krachten Kanonen, und vom Meer her kam die Antwort. Qinnitan sah eine der mächtigen Dromonen des Autarchen an der Hafeneinfahrt vorbeigleiten, abgewehrt nur durch eine hundert Klafter lange, mannsdicke Kette — einziger Schutz des berühmten Hafens, den der Magnat Nektarios mit solchem Aufwand hatte bauen lassen.
    Sie überquerten den Anfang der Oniri-Daneya-Straße, einer breiten Hauptstraße, die von Geschäften, Märkten und Lagerhäusern gesäumt war und vom Hafen ostwärts ins Herz der Altstadt führte. Zum Hafen hin war die berühmte Straße mit verlassenen Fuhrwerken und Trümmern vom Kanonenbeschuss verbarrikadiert. Diesen sonst so lebendigen Ort so leer und verwüstet zu sehen, ließ Qinnitan in einer neuen Woge von Verzweiflung versinken. Niemand würde ihnen helfen, da war sie sich inzwischen sicher — nicht, wenn die Stadt brannte und die

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