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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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Fluss von Staub drang in ihn ein. Er wurde Staub. Er gelangte hindurch.
     
    Und jetzt betraten sie die eigentliche Stadt, die Metropole, neben der die Stadt der Schläfer nicht mehr war als ein Dorf.
    Die Orakel sagen, dass diese größte und schrecklichste aller Ansiedlungen die Erde von Pol zu Pol bedeckt, sodass, wo auch immer lebende Menschen gehen, unter ihren Füßen die Straßen der Stadt der Roten Sonne liegen. Niemand lacht in dieser Stadt, behaupten die Orakel ferner, und niemand weint hier außer mit leisem, fast lautlosem Schluchzen, oder singt lauter als im Flüsterton.
    Als Vansen und sein Vater die Stadt betraten, lag Stille über ihr, so wie Staub auf den Straßen lag. Die Schläfer hatten alle die Augen offen, und jedes Gesicht starrte hoffnungslos in die Ewigkeit. Bei jedem Schritt vorwärts fühlte es sich an, als höbe der Fuß einen zentnerschweren Stein. Jede Straße wirkte genauso öde, leer und trostlos wie die letzte.
    Dennoch gingen er und der Schatten seines Vaters stetig auf den großen, dunklen Magneten im Herzen der Stadt zu, den Palast des Erdherrn selbst. Tausende weiterer Geister bewegten sich mit ihnen in Richtung des mächtigen, schwarzen Tors, Schattenwesen jedweder Art und Gestalt. Wenige trugen mehr als Lumpen, und viele waren nackt, aber selbst in ihrer Nacktheit waren manche mit Federn oder matt glänzenden Schuppen bedeckt, sodass sie nicht ganz wie Menschen aussahen. Vansen und sein Vater wurden von dieser schweigenden Menge mitgeschwemmt wie Rindenstückchen von einem langsam fließenden Fluss, wobei das Tor und die Mauer und der Palast vor ihnen immer größer wurden.
    Ferras Vansen sah seinen Vater an, der von allen in dieser Totenmenge als Einziger noch die Augen geschlossen hatte, und bemerkte, dass der alte Mann, obwohl seine Gesichtszüge immer noch so undeutlich waren wie Rauch, etwas vom Leuchten des Ockers bewahrt hatte, einen roten Schimmer wie von Feuer, das sich in Silber spiegelt. Dann sah er, dass die anderen Geister diesen Schimmer auch hatten, und dass er nicht von den Toten selbst ausging, sondern von dem großen Palast, aus dessen sämtlichen Fenstern sonnenuntergangrotes Licht fiel.
    Das Haus des Äußersten Westen,
flüsterte sein Vater, aber so als ob er ein Gebet aufsagte und keine Erklärung gäbe.
Das Nest des Raben. Die Feste des Allzerfalls. Die Mächtige Tanne ...
    Aber zuerst,
flüsterte jemand,
müssen wir das Tor des Schweins passieren.
Diese Worte liefen durch die Menge wie Feuer durch dürres Gras, und das Flüstern wurde ein zischendes Murmeln.
Das Tor. Das Tor.
Sie stöhnten diese Worte, jedenfalls einige, wenn auch einer laut lachte, als er es wieder und wieder sagte, so als ob es der erste Witz wäre, der je in der tristen, blutfarbenen Stadt erzählt wurde. Nach einer Weile wurde sein Lachen ein ersticktes Schluchzen.
Die Nase des Schweins wird jede Lüge, jeden Betrug erschnüffeln, und dann werden wir verschlungen ...
    Während die Stimmen um ihn herum lauter wurden, verdichtete sich auch das Dunkel wie Rauch, bis Ferras Vansen nichts mehr sehen konnte. Selbst der Schatten seines Vaters war verschwunden. Er war verloren in schwarzer Leere, und die Stimmen der drängenden Toten waren jetzt Tierlaute, Wiehern, Grunzen, Bellen, als hätten sich die Geister der Menschen in Tiergeister verwandelt. Es war ein fürchterlicher Lärm, schrill, verzweifelt und angstvoll. Er musste unwillkürlich an die Tiere denken, die er zum Schlachter getrieben hatte. Das Dunkel schien unendlich und, bis auf ihn und einen Chor schrecklicher Echos, leer.
    Aber das bin wirklich ich,
dachte er plötzlich.
Ich treibe die Tiere mit einer Gerte, die Straße nach Littelstell hinunter. Das ist eine Erinnerung an mich, an mein Leben.
    Ich bin Ferras Vansen,
sagte er zu der Leere.
Ich habe einen Namen. Ich bin ein Lebender.
    Etwas kam auf ihn zu — er fühlte es nahen, so langsam und dräuend wie eine Gewitterwolke. Es schien größer als das Dunkel selbst, und es stank. Und es schien ... belustigt?
     
    Lebender.
     
    Es waren keine Worte, noch nicht einmal Gedanken, sondern etwas Größeres, so wie Wetterzeichen, aber irgendwie vermochte er es zu verstehen. Er war in der Gewalt von etwas, das so viel größer war als er selbst, dass er kaum noch denken konnte. Er war jenseits aller Furcht — er war nicht bedeutend genug, um sich zu fürchten.
    Schließlich sprach es, oder das Wetter änderte sich, oder die Sterne zogen am schwarzen Firmament ihre Bahnen um Ferras

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