Das Spiel
jene Großen, die du zu sehen wünschst, noch immer in ihren Häusern zu sehen sind.
Das verstehe ich nicht,
erklärte Vansen dem Bärtigen. Während sie miteinander sprachen, setzte sich sein Vater in den Staub und begann, vor sich hin zu singen.
Du brauchst es nicht zu verstehen. Du brauchst nur zu tun, was du tun musst. Ob du danach noch einmal durchkommst, liegt in den Händen größerer Mächte als der meinen.
Der staubige alte Mann verlagerte das Gewicht vom einen nackten Fuß auf den anderen; er hatte die gespreizten, ledrigen Zehen von jemandem, der nie Schuhe getragen hat. Im Gegensatz zu Vansens Vater war er so real, wie er nur sein konnte — Ferras Vansen vermochte jeden Zollbreit seiner kupferfarbenen Haut, jede Narbe, jedes Haar klar und deutlich zu erkennen.
Ihr wollt mir nicht sagen, wer Ihr seid, Herr?
Der bärtige Mann schüttelte den Kopf.
Kein Herr und mit Sicherheit nicht deiner. Eine Form, eine Idee, vielleicht sogar ein Wort. Das ist alles. Jetzt tritt durch diese Tür. Du wirst dort Wasser finden. Ihr müsst euch beide waschen.
Und ohne zu wissen, wie er hierher gekommen war, fand sich Ferras Vansen im Inneren der kleinen Holzhütte wieder, aber jetzt hatten sie erstmals das Zwielicht hinter sich gelassen: Was er durch die Wandritzen sehen konnte, waren ein samtschwarzer Himmel und das Funkeln von Sternen. Er trat näher an die Wände heran und spähte durch eine Spalte. Die ganze Hütte war von Sternen umgeben, unzähligen weißen Funken, die flackerten wie die Kerzen sämtlicher Götter im Himmel — Sterne über, neben und sogar unter ihnen, so als ob die Hütte frei durch den Nachthimmel schwebte. Benommen von dem betörenden, beängstigenden Anblick, drehte er sich um und sah, dass sein Vater sich bereits an einem hölzernen Bottich wusch, der genauso primitiv war wie die Hütte selbst.
Vansen tat es ihm nach und verlor sich eine ganze Weile in dem herrlichen Gefühl des Wassers auf seiner Haut. Er hatte ganz vergessen, dass er überhaupt einen Körper
hatte,
und dies war eine wundervolle Art und Weise, daran erinnert zu werden. Selbst der Geist seines Vaters, der nicht stofflicher war, als wenn er aus Spinnweben bestanden hätte, schien auf seine Weise glücklich.
Ich hätte nach Hause kommen sollen,
sagte Vansen.
Ich hatte Angst vor dir, Tati. Ich hatte Angst vor deinem Leiden. Und ich habe dich gehasst, jedenfalls ein bisschen. Weil du es mir nicht leicht gemacht hast, als du es gekonnt hättest.
Sein Vater hörte auf zu singen und sagte lange nichts. Er richtete sich auf und ließ das Wasser an sich hinabrinnen wie Regen, der über ein Fenster läuft.
Ich war der Gefangene meiner eigenen Auffassungen,
sagte Pedar Vansen schließlich.
Zumindest stelle ich es mir so vor. In Wahrheit kann ich mich nicht erinnern — es ist alles weg, verflogen wie Rauch ...
Und dann, ehe Vansen mehr von diesen Worten hören konnte, die für ihn waren wie Nahrung für einen Verhungernden, fanden sie sich wieder draußen im Zwielicht und im Staub. Der bärtige Mann stand auf seinen langen Stab gestützt, der ebenso knorrig und knotig war wie er selbst.
Dort,
sagte der Bärtige und deutete auf einen Haufen stumpf orangeroter Steine, die im Staub lagen.
Zerkleinert sie und reibt euch damit ein, damit ihr ins letzte Licht des Sonnenuntergangs hinübertreten und doch etwas von euch selbst bewahren könnt. Alle beide. Es gibt jetzt keinen Unterschied zwischen den Lebenden und den Toten in diesem Haus — alle sind denselben Gesetzen unterworfen.
Vansen rieb die roten Steine aneinander, erzeugte so ein blutfarbenes Pulver und verteilte es auf seiner frisch gesäuberten Haut. Es war, als riebe er sich nicht mit Dreck, sondern mit Licht ein. Als er fertig war, glänzte er, und selbst der Geist seines Vaters schimmerte in dem Pulverkleid und wirkte materieller.
Dieser Ocker verleiht den Lieblosen Leben,
sagte der Bärtige.
Und er schützt die Lebenden vor den Toten, dort, wo ihr jetzt hingeht, denn sonst würden sie in Scharen an euch kleben wie Fliegen am Honig. Geht.
Was erwartet uns?,
rief Vansen dem Alten noch zu, während er und sein Vater davongingen.
Das, was euch immer erwartet hat. Das, was euch und mich und alles immer erwarten wird. Das Ende aller Dinge.
Und dann war der Bärtige weg, verschwunden im Staub, der sie jetzt wieder umwirbelte, in dichten, erstickenden Schwaden. Vansen hielt die Luft an, dann kam der Punkt, an dem er sie nicht länger anhalten konnte. Er atmete ein, und der
Weitere Kostenlose Bücher