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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
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Truppen des Autarchen schon fast innerhalb der Mauern standen. Sie beugte sich hinab und ergriff die Hand des Jungen. Sie hatte schon viel überlebt, aber diesmal musste sie sich auch noch um Spatz kümmern.
    »Jetzt werden wir schneller gehen«, sagte der Mann. »Keinen Mucks. Folgt mir.«
    »Müsst Ihr denn wirklich auch den Jungen ...?«, setzte Qinnitan an. Im nächsten Augenblick sackte sie auf die Knie, Tränen in den Augen und einen brennenden Schmerz im Gesicht. Er hatte so schnell zugeschlagen, dass sie es nicht mal hatte kommen sehen.
    »Ich sagte,
keinen Mucks.
Beim nächsten Mal fließt Blut — das heißt mehr Blut als diesmal.« Die Hand des Mannes schnellte vor wie eine zubeißende Schlange. Spatz schrie auf eine Art auf, wie Qinnitan es noch nie gehört hatte, ein grelles Krächzen, das ihr den Magen umdrehte. Das Kind fasste sich an den Kopf und blickte auf seine blutüberströmten Hände. Sein Ohr war halb zerschlitzt; ein Teil hing herab wie bei einem verrotteten Wandteppich.
    »Verbinde ihn.« Der Mann warf ihr einen Lumpen aus seiner Tasche zu — ein Überbleibsel des Altweiberschals, den er als Teil seiner Verkleidung getragen hatte. »Und glaubt nicht, dass einer von euch sicher ist, nur weil ich euch dem Autarchen übergeben soll. Es gibt Methoden, euch Schmerz zuzufügen, von denen nicht einmal die Wundärzte des Goldenen etwas merken würden. Noch so ein Spielchen von euch, und ich zeige euch ein paar von meinen — Spielchen, an die ihr euch selbst dann noch erinnern werdet, wenn euch die besten Folterer des Obstgartenpalasts in der Mangel haben.« Mit einer Handbewegung hieß er sie weitergehen, die Hafenkais entlang.
    Qinnitan presste Spatz den Stofffetzen fest aufs Ohr, bis er ihn selbst halten konnte. Sie ging weiter, wenn der Mann es befahl, und blieb stehen, wenn er stehen blieb. Ihr Herz, das eben noch so heftig gepocht hatte, schien jetzt so träge wie ein Frosch im sommerwarmen Morast. Es gab für sie beide kein Entkommen.
    Gegen Ende der langen Reihe von Schiffen kamen mehrere schmalere Liegeplätze, wo sich kleinere Boote so dicht reihten wie Blätter an einem Zweig. Dort fand ihr Entführer, was er suchte, ein Ruderboot mit einem winzigen Sonnensegel, gerade groß genug, um einer großen oder zwei kleineren Personen Schatten zu spenden. Er befahl ihr, sich neben Spatz unter das Sonnensegel zu legen, und ruderte dann, ohne die Rufe der Hafenwächter zu beachten, zwischen verkohlten Wrackteilen hindurch zur offenen See, wo die Kanonen wie Donner grollten und der Rauch wie Abendnebel in der Luft hing. Sie beobachtete den Mann beim Rudern. Das einzige Anzeichen von Anstrengung, das sie entdecken konnte, war das Arbeiten seiner bleichen Nackenmuskeln.
    »Was gibt Euch der Autarch, damit Ihr das tut?«, fragte sie und riskierte damit eine erneute Ohrfeige. »Zwei Kinder zu verschleppen, die Euch nie etwas zuleide getan haben.«
    Er blickte über seine Schulter. »Mein Leben.« Seine Mundwinkel zuckten, fast als lächelte er. »Das ist nicht viel, aber ich habe noch Verwendung dafür.«
    Mehr würde sich der Mann nicht entlocken lassen. Qinnitan lehnte sich zurück und legte tröstend den Arm um Spatz, konnte aber den Gedanken nicht verscheuchen, wie es sich wohl anfühlen würde, sich einfach über Bord zu rollen, in die kühle Umarmung des Ozeans und den vergleichsweise leichten und schnellen Tod durch Ertrinken. Ohne das zitternde Kind an ihrer Seite hätte sie es ohne Zögern getan. Alles wäre besser, als wieder in die irrsinnigen Augen des Autarchen sehen zu müssen und seine goldgeschützten Finger über ihre Haut kratzen zu fühlen. Alles, nur nicht zu wissen, dass sie den armen, stummen Spatz allein seinem Schicksal überlassen hatte. Und wenn sie den Jungen in die Arme nehmen und mit ihm zusammen in der friedlichen, grünen Tiefe versinken würde? Sie könnte ihn festhalten, solange er noch kämpfte, und dann mit einem großen Schluck ihre eigene Lunge füllen. Nein, Spatz würde nicht kämpfen. Er würde verstehen ...
    Der Mann ließ die Ruder in den Dollen hängen, schlang ein Stück Seil um die Bank, auf der sie saßen, und band ihr und Spatz je ein Ende ums Fußgelenk.
    »Du solltest nicht mit den Augen denken, Mädchen.« In der Ferne hinter ihm sah sie den felsigen Hügelstreifen des so genannten Fingers mit den besetzten Festungsanlagen als dunkle Silhouette vor dem sich rötenden Abendhimmel und auf dem Wasser davor die Schiffe mit dem Zeichen des Autarchen, dem

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