Das Spiel
Flammenden Auge des Nushash — eine nur allzu eindringliche Erinnerung, wie es war, Sulepis' eigenem lohendem Blick ausgesetzt zu sein. »Aber jetzt ist es ein bisschen spät, das zu lernen.«
Vash wollte nicht schon wieder eine Seereise machen. Er hatte sich kaum von der letzten erholt. Was hatte man davon, ein ehrwürdiges Alter erreicht zu haben und einer der mächtigsten Männer der Welt zu sein, wenn es einem trotzdem nicht freistand, auf festem Boden zu bleiben?
Er schluckte den Unmut hinunter, weil das ratsam war, und versuchte, das Schaukeln des vor Anker liegenden Schiffs mit den Beinen auszugleichen, ehe er die große Kabine des Autarchen betrat, eine hundert Schritt lange Halle aus Holzbalken, die mehr als die halbe Länge und fast die gesamte Breite des Schiffs einnahm und mit prächtigen Teppichen ausgekleidet war, um auch im kältesten Sturm die Wärme drinnen zu halten. In der Mitte, auf einer kleineren Version des Falkenthrons (die am Deck vertäut war, damit die Würde des Goldenen auch bei unruhiger See nicht beeinträchtigt wurde), thronte der Mann, der Pinnimon Vash solche Unannehmlichkeiten aufzuerlegen vermochte.
»Ah, Vash, da seid Ihr ja.« Der Autarch hob träge die Hand mit den goldfunkelnden Fingerspitzen. Außer Schmuck trug Sulepis nur einen leinenen Lendenrock und einen schweren, goldgewirkten Gürtel. »Ihr kommt gerade recht. Dieser fette Begünstigte, dessen Namen ich mir nicht merken kann ...« Er unterbrach sich lang genug, um zu bedeuten, dass man ihm den Namen nennen möge.
»Bazilis, o Goldener?« Draußen auf den Klippen über ihnen krachte eine der großen Krokodilkanonen, dass das Schiffsgebälk ächzte. Vash bemühte sich, nicht zusammenzuzucken.
»Ja, Bazilis. Er bringt mir mein Geschenk von Ludis. Der Gott auf Erden ist heute ein glücklicher Gott, alter Mann.« Aber Sulepis sah alles andere als glücklich aus. Er wirkte vielmehr noch fiebriger und besessener als gewöhnlich. Seine Kiefermuskeln zuckten wie die eines Jagdhundes, der Beute witterte. »Wir haben lange gewartet und darauf hingearbeitet.«
»Ja, o Goldener, das haben wir. Sehr lange.«
Der Autarch runzelte die Stirn. »Ihr auch? Habt Ihr das tatsächlich, Vash? Habt Ihr wochenlang auf Euren Schlaf verzichtet, um die alten Texte zu lesen? Habt Ihr mit ...
Dingen
gerungen, die im Dunkel hausen? Habt Ihr Eure Göttlichkeit ins Feld geworfen, im vollen Bewusstsein, dass einen gewöhnlichen Sterblichen allein schon die Aufzählung der Qualen, die Euch im Falle des Scheiterns erwarten, umbringen würde? Habt Ihr wahrhaftig gearbeitet und gewartet, wie ich es getan habe, Vash?«
»N-nein, nein, natürlich nicht, mein bewundernswerter Gebieterl So war das ›wir‹ nicht gemeint, ganz und gar nicht ...« Er fühlte Schweiß aus den Poren seiner alten Haut quellen. »Ich wollte sagen, dass wir Übrigen, Eure Diener, sehnlichst auf Euren Erfolg gewartet haben, dass aber dieser Erfolg, dieses ... Meisterstück ... natürlich ganz allein Euer Werk ist.« Er verfluchte seine Dummheit. Ein ganzes Jahr diente er dieser Giftnatter jetzt schon und hatte immer noch nicht gelernt, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen, ehe er es aussprach!
»Vergebt mir, o Goldener, ich wollte nicht respektlos sein ...!«
»Natürlich nicht, Vash. Ihr seid doch mein verlässlicher Diener.« Urplötzlich lächelte der Autarch, ein weißes Blitzen, so bar jeder Freundlichkeit wie das der Zähne eines Kanalhais. »Ihr macht Euch zu viele Sorgen, alter Freund. Ich habe meine Augen überall. Ich weiß, wie loyal meine Untertanen sind, und
insbesondere,
was meine engsten Vertrauten tun und denken.«
Vash schwankte ein wenig — unmerklich, hoffte und betete er — und hätte sich gern irgendwo hingesetzt. Der Autarch wollte doch sicher auf etwas Bestimmtes hinaus. War es die Bemerkung, die dem neuen Leopardenhauptmann Marukh entschlüpft war? Aber Vash hatte ihm doch nicht zugestimmt — im Gegenteil, er hatte ihn sogar gerügt! Andererseits war er auch nicht schnurstracks zum Autarchen gegangen, um die verräterische Unverschämtheit dieses Mannes zu melden.
Wenn ich jeden denunzieren würde, der seine Probleme mit der Herrschaft unseres neuen Autarchen hat,
dachte er verzweifelt,
würde der Würger des Autarchen an Überarbeitung sterben und der Obstgartenpalast wäre am Ende des Jahres nur noch von Geistern bewohnt.
Er senkte den Kopf und wartete auf ein Zeichen, das ihm bedeutete, ob er die nächste Stunde überleben würde.
Der
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