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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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Bedeutung war klar: Kann sein, aber was macht das schon aus?
    »Doch, es macht etwas aus.« Vansen wusste, er antwortete auf Worte, die nicht gefallen und vielleicht nicht einmal intendiert gewesen waren, aber im Moment störte ihn das nicht: Im Land der verrückten Erscheinungen, einem Land voller sprechender Tiere und gesichtsloser Schattenwesen, war Verrücktheit die einzig vernünftige Haltung. »Er spricht wie der Vater meiner Mutter, auch wenn Euch das nichts bedeutet. Ich habe seit meiner Kindheit niemanden mehr so sprechen hören.« Vansen wurde bewusst, dass er sich nach einem Gespräch sehnte — nach einer normalen Unterhaltung, nicht den elliptischen, rätselhaften Antworten des verhexten Prinzen, die immer nur noch mehr Fragen aufwarfen. Ja, dachte er, er war so einsam, dass er sogar einen Vogel als Kameraden akzeptieren würde.
    Aber noch war es nicht ratsam, sich das anmerken zu lassen — in diesen tückischen, magischen Landen konnte selbst ein Vogel suspekt sein. »Warum sollten wir dich nicht töten?«, fragte er den zappelnden Raben. »Was hast du in unserem Biwak gesucht? Sprich, oder ich
lasse
ihn deine Kehle aufschlitzen.«
    »Nein!« Es war halb Schrei, halb Krächzen, ein so verzweifelter Laut, dass Vansen sich schon fast schämte. »Unsereins hatte nichts Böses im Sinn! Hatte nur Hunger!«
    »Gyir sagt, das Vieh riecht nach diesen Kreaturen«, warf Barrick ein. »Denen, die ihn angegriffen und sein Pferd getötet haben. ›Folger‹ nennt er sie.«
    »Nein, ihr Herrn!« Der Rabe versuchte sich freizukämpfen, doch trotz seiner Größe war er in den Händen des Schattenkriegers so hilflos wie ein Spatz. »Ist nur den Folgern gefolgt, unsereins. Kann nimmer weit fliegen heutzutag — so gerupft, wie unsereins ist.« Er breitete vorsichtig einen Flügel aus, und diesmal ließ Gyir es zu. Ganz offensichtlich fehlten da etliche der glänzend schwarzen Federn. »Wollte vor einiger Zeit was fressen, aber dasjenige war noch nicht ganz tot«, erklärte der Rabe nickend. »Hat unsereins mächtig gebeutelt.«
    »Und der Geruch nach diesen ... Folgern?«
    »Kann nimmer so hoch und so lang fliegen wie einstens, unsereins. Muss in nächster Näh hinterher, von Ast zu Ast, versteht Ihr? Folger haben einen starken Gestank.« Er lockerte mit dem Schnabel das zweifarbige Gefieder. »Können selbst nichts riechen. Der arme Skurn ist alt — so alt!«
    »Skurn? Ist das dein Name?«
    »Ganz recht, oder war es jedenfalls einstens. War noch jung und hübsch, unsereins, als es so hieß.« Er zeigte mit dem Schnabel auf Gyir.
    »Sein
Volk hat alle Sonnländer aus Nordmark vertrieben. Da war gut leben, eine Zeitlang, während der Kämpfe — Tote genug auf beiden Seiten! Aber dann warn die Sonnländer weg, und der arme Skurn musste gucken, wo er bleibt, als das Zwielicht kam.« Der Schnabel öffnete sich zu einem traurigen Seufzer, aber die leuchtenden Augen taxierten Vansen hoffnungsvoll wie die eines Kindes, das auf das erste Zeichen des Verzeihens wartet.
    Er brachte es nicht über sich, die Kreatur zu töten. »Lasst den Vogel frei«, sagte er. Nichts geschah. Gyir sah nicht ihn an, sondern Barrick. »Bitte, Hoheit. Lasst ihn frei.«
    Barrick runzelte die Stirn und sagte dann seufzend: »Ich nehme an, Ihr habt recht.« Mit einer Handbewegung, die selbst hier, unter den triefenden Bäumen, noch etwas Majestätisches hatte, befahl er Gyir: »Lasst ihn frei.«
    Sobald die Klinge von seinem Hals genommen war, kam der Vogel auf die Beine und tat ein paar Hüpfer, recht beweglich für sein angebliches Alter. Er schlug mit den Flügeln, als wäre er freudig überrascht, dass er sie noch hatte. »Oh, Dank, ihr Herrn, allerbesten Dank! Skurn wird Euch dienen, wird alles tun, was Ihr wollt, alles finden, die besten Verstecke, faulendes Aas, Vogelnester, gar die Stellen, wo die Fische sich in den schlammigen Grund wühlen! Und isst so wenig, unsereins. Ihr werdet gar nicht merken, dass Skurn hier ist.«
    »Wovon redet er?«, sagte Vansen verdrossen. Er hatte erwartet, dass der Rabe ins Unterholz rennen oder davonfliegen würde, und abgelenkt durch das Verhalten des Vogels, hatte er nicht aufgepasst, wo Gyir das Messer verbarg. Jetzt war die Hand des Zwielichtlers wieder leer.
    »Ihr habt ihn gerettet, Hauptmann.« Kühle Belustigung stand auf Barricks Gesicht. Plötzlich wirkte er nicht mehr wie ein Junge, sondern so alterslos wie manche Greise. »Der Rabe ist Euer. Wie es scheint, werdet Ihr endlich das Vergnügen kosten,

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