Das Spiel
befunden, und selbst die kostbarsten dieser Erinnerungsperlen hinter sich werfen. Er durfte sich keine Schwäche erlauben, wie sie andere Männer zeigten — Vansen der Gardehauptmann zum Beispiel, der immer noch im Alten lebte und hier (oder sonst irgendwo in der neuen Welt, die jetzt kam) so deplatziert war wie ein Bär an einem Tisch mit einer Suppenschale und einem Löffel. Barrick wusste, Vansen hatte dem widerwärtigen, aasfressenden Raben vor allem deshalb das Leben geschenkt, weil er seine Sterblichensprache sprach, als ob die Fähigkeit, in dieser altertümlichen Sprache zu brabbeln, irgendetwas anderes wäre als ein Zeichen der Bedeutungslosigkeit.
Dieser Skurn hatte viele abscheuliche Gewohnheiten und schien alle paar Augenblicke eine neue an den Tag zu legen. Vor einer Stunde erst hatten sie das Biwak aufgeschlagen, und jetzt schon hatte dieses Federvieh es verdreckt, weil es sich nicht mal ein Stück entfernte, um sich zu erleichtern, sondern einfach beim Feuer stehen blieb und etwas hervorspritzte, das so flüssig und übelriechend war wie der Gänsekot, der Spaziergänge um den Teich im Palastgarten so riskant gemacht hatte. Jetzt saß dieser ekelhafte alte Vogel nur wenige Schritte von Barrick entfernt und verdrückte eine junge Ratte, die er in einem Nest im feuchten Gestrüpp gefunden hatte. Der Schwanz hing ihm aus dem Schnabel, während er auf dem Hinterteil herumkaute. Gleich darauf glitt das ganze Tier samt Schwanz seine Kehle hinab und war verschwunden.
Skurn rülpste. Barrick funkelte ihn finster an.
Vergeudet Euer Feuer nicht auf Ärger,
erklärte ihm Gyir.
Schon gar nicht auf solchen. Ihr werdet jeden Funken davon brauchen, Vetter.
Die Worte waren einfach da, als flüsterte sie jemand in seinem Schädel. Da waren keine Laute, keine individuellen Eigenheiten wie bei normalem Sprechen, aber die Form der Worte und die Art, wie sie sich anfühlten, sagten Barrick auch ohne jeden Vergleich, dass sie von Gyir kamen und von niemand anderem.
Vetter? Warum nennt Ihr mich so?
Weil wir etwas gemeinsam haben.
Was? Was könnten wir gemeinsam haben?
Die Liebe unserer Herrin und die Treue zu ihr. Sie hat Euch gerettet, wie sie auch mich gerettet hat. Vor ...
Da verloren oder veränderten sich die Worte des Zwielichtlers, sodass sie sich nicht mehr wie Worte anfühlten, sondern eher wie Donnerkrachen und wie Regen, so heftig und so schrecklich wie ein Hagel von Pfeilen.
»Hoheit«, sprach ihn Vansen plötzlich an, und nach der Musikalität der lautlosen Elbenworte klang seine Stimme so schnarrend wie das Quaken eines Froschs. »Ich meine, wir sollten auf den Vogel hören ...«
»Hören!«, fauchte Barrick. »Ihr seid doch derjenige, der nichts hört!« Wie konnte der Mann immer so weiterschnarren und -brüllen, wenn er doch Worte
und
Schweigen haben konnte, Musik und Stille, sowohl die gezupfte Saite als auch den Moment der Erwartung, ehe die Laute erklang? Aber vielleicht konnte der Gardehauptmann das ja gerade nicht. Vielleicht war er, Barrick, ja ungerecht. Er selbst war von der Dunklen Fürstin berührt worden — der arme, ernsthafte Ferras Vansen nicht. »Ich bitte um Verzeihung, Hauptmann«, sagte er, angetan von seiner eigenen Seelengröße. Kein Wunder, dass gerade er in dem ganzen verrückten Gewimmel des Schlachtfelds erwählt worden war, erwählt wie das Orakel Iaris, das unter allen Menschen die Gabe verliehen bekommen hatte, Perins Worte den Sterblichen zu übermitteln. »Was ... was sagt diese krächzende Aaskrähe?«
»Ihr könnt nicht da lang«, sagte der Rabe. »Der Hohe da ohne Fressloch, der Verhüllte,
er
weiß es. Das ist jetzt Kettenjacks Land, seit die Königin schläft und der König so alt geworden ist. Unsereins, dem sein Leben lieb ist, geht da nicht hin.«
»Er spricht von Nordmark, Hoheit«, sagte Vansen. »Es scheint in der Hand irgendeines Feindes — eines gefährlichen Mannes.«
»Ich bin nicht blöde, Vansen, das habe ich auch verstanden«, sagte Barrick unwirsch. In diesem Augenblick erinnerte ihn der Gardehauptmann an Shaso: Der alte Mann hatte auch immer über ihn geurteilt, ihn immer unterschätzt, Dinge gesagt, die für das Ohr nur vernünftig klangen, ihn aber mit brennender Scham erfüllten. Nun ja, ein halbes Jahr im Kerker dürfte Shaso dan-Heza ja wohl einiges von seinem Stolz und seiner Verächtlichkeit ausgetrieben haben.
Eine leise Regung von Schuldgefühl, fern, aber dennoch schmerzlich, bewirkte, dass er an etwas anderes denken wollte. Shaso
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