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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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sein Herz nicht in Wirklichkeit so laut pochte, wie es sich anfühlte. Er wusste, er hatte mehr gesehen als nur die Bewegung von Gras, das emporschnellte, nachdem es sich unter der Last des Regens gebogen hatte.
    Da war es wieder, hinter den durchweichten Überresten des Feuers, ein geducktes Etwas, das, nur wenige Schritte von dem schlafenden Prinzen, langsam dahinhüpfte.
    Vansen warf seinen Mantel über das Etwas und hechtete hinterher. Das Etwas gab ein ersticktes Krächzen von sich und versuchte zu flüchten, schien sich aber im Mantel verfangen zu haben. Vansen kroch auf allen vieren über den nassen Boden und schaffte es, das Etwas zu packen, ehe es wieder im Schattendunkel verschwinden konnte. Als er es, in das feuchte Wolltuch gewickelt, hochhob, erwies es sich als kleiner, als er befürchtet hatte, und überraschend leicht, wie ein Bündel aus Reisig und Tuch: Obwohl er es nicht richtig zu fassen bekommen hatte, vermochte er es leicht festzuhalten. Das gefangene Wesen stieß einen panischen Schrei aus, der fast wie der eines Kindes klang. An der Art der Bewegungen merkte Vansen, dass es irgendein großer Vogel war, mit Schwingen, die beinahe die Spannweite von Männerarmen hatten.
    Während er sein Gesicht vor dem hackenden Schnabel zu schützen versuchte, stürzte plötzlich etwas anderes von hinten auf ihn zu und erschreckte ihn so, dass er keinen Widerstand leistete, als ihm der Vogel aus den Händen gerissen wurde. Er drehte sich um, und da stand der Zwielichtler Gyir, ein kurzes, breites Messer mit wellenförmig geschliffener Klinge gegen die Kehle des Vogels gepresst, während dieser wild flatterte und seltsame, fast menschliche Angstlaute ausstieß. Es war ein Rabe, erkannte Ferras Vansen jetzt, vorwiegend schwarz, mit einigen weißen Flecken, so willkürlich verteilt wie Farbspritzer. Aber den Vogel beachtete Vansen kaum. Er war entsetzt über das Messer, das Gyir so plötzlich gezückt hatte, und schämte sich seiner Nachlässigkeit.
    Großer Perin, hat er es schon die ganze Zeit gehabt? Er hätte uns jeden Moment abschlachten können! Wie konnte mir das entgehen?
    Doch dann ließ sich der Vogel nicht länger ignorieren, denn er hatte plötzlich zu sprechen begonnen.
    »Nicht töten, ihr Herrn!« Die Stimme klang rau und krächzend, aber die Worte waren klar und deutlich. »Unsereins tut auch nie wieder was Unrechtes! Unsereinen hat's nur so schlimm gehungert! «
    »Du kannst sprechen«, stellte Vansen verblüfft fest.
    Der Rabe richtete ein leuchtend gelbes Auge auf ihn und klappte den Schnabel auf und zu, als ob er noch immer nach Luft ränge. »Ganz recht. Und aufs Lieblichste, wenn Ihr mich lasst, Ihr Herrn!«
    Prinz Barrick setzte sich auf. Mit zerzaustem Haar und verquollenen Augen wirkte er in diesem Moment eher wie ein ganz normaler verschlafener Jüngling denn wie das unverständliche Rätsel, das er die ganze Zeit gewesen war. »Warum traktiert Ihr beide einen Vogel?« Er blinzelte. »Der ist aber scheckig. Meint Ihr, er ist schmackhaft?«
    »Nein, Herrl« sagte der Rabe und wehrte sich vergeblich. Graue Hautstellen, wo er sichtlich Federn gelassen hatte, ließen ihn noch jämmerlicher wirken. »Unbekömmlich und fad bin ich! Gift!«
    Gyir griff den zappelnden Vogel fester und setzte das Messer an.
    »Nein!«, sagte Vansen. »Nicht!«
    »Warum nicht?«, fragte der Prinz. »Gyir sagt, er ist alt und muss ohnehin bald sterben. Und er wollte uns bestehlen.«
    »Er spricht unsere Sprache!«
    »Das tun viele Diebe.« Der Prinz schien vor allem belustigt.
    »Ganz recht«, keuchte der Vogel. »Sprech sie wohl, Eure Sonnländerzunge. Hab sie in Nordmark gelernt, wo ich nah bei Euresgleichen lebte.«
    »Nordmark?« Das war ein Name, den Vansen seit Jahren nicht gehört hatte, einer, den die Leute nur mit Schaudern erwähnten. »Wie kann das sein? In Nordmark leben schon zweihundert Jahre keine Menschen mehr. Seit die Schatten es überrollt haben.«
    »Oh, ganz recht, damals war unsereins noch jung.« Der Rabe zappelte immer noch vergebens in Gyirs Griff. »Hatte noch ein glänzend Federkleid und biegsame Gelenke, und die Knochen warn noch fest.«
    Vansen wandte sich an Gyir, weil er für einen Moment vergaß, dass die Verständigung mit ihm noch schwerer war als mit dem Raben. »Zweihundert Jahre alt? Kann das sein?«
    Die Reaktion des Zwielichtlers war einer menschlichen so ähnlich, wie Vansen es in der ganzen Zeit noch nie bei ihm gesehen hatte: eine Art fließendes Schulterzucken. Die

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