Das Spiel
Leben vorzustellen, vielleicht an der Spitze eines Häufleins Überlebender, das in Richtung Settesgard zog. Ihre geliebte andere Hälfte — sie wüsste es doch sicherlich, wenn jemand, den sie kannte und liebte wie einen Teil ihrer selbst, tot wäre! »Was ist mit der Stadt und der Südmarksfeste?«, fragte sie. »Steht die Burg noch? Und wie habt Ihr das alles so schnell erfahren?«
»Von den Booten und Schiffen, die in der Brennsbucht fischen und die Burg mit Waren aus dem Süden beliefern. Viele davon gehören mir«, sagte dan-Mozan lächelnd. »Und natürlich hören meine Kapitäne in den Häfen auch einiges von den Flussschiffern, die aus anderen Teilen der Markenlande herabkommen. Auch in Kriegszeiten müssen die Leute ihre Wolle und ihr Bier zum Markt schicken. Ja, die Südmarksburg steht noch, aber die Stadt auf dem Festland ist gefallen. Die Umgebung ist menschenleer. Dort ist alles voller Dämonen.«
Plötzlich schien alles so finster und hoffnungslos. Briony biss die Zähne zusammen. Sie würde vor diesen alten Männern nicht in Tränen ausbrechen, würde sich nicht von ihnen trösten und hätscheln lassen. Es war ihr Königreich — nun ja, das ihres Vaters, aber Olin saß in Hierosol gefangen. Südmark brauchte sie, und es brauchte sie vor allem stark. »Mein Vater, der König — habt Ihr irgendetwas von ihm gehört?«
Der Kaufmann nickte sachlich. »Nichts, was daraufhindeutet, dass er nicht wohlbehalten wäre, Hoheit, oder dass sich irgendetwas geändert hätte, aber es wird geraunt, dass Drakavas Macht über Hierosol nicht die stabilste ist. Und es gibt Gerüchte, dass der Autarch eine mächtige Flotte rüstet — dass er es auf Hierosol abgesehen hat.«
»Was?« Shaso setzte sich so jäh auf, dass er fast seinen
Gawa
verschüttete. Das war ihm sichtlich neu. »Dafür kann der Autarch doch unmöglich bereit sein — er hat doch gerade erst seine Vasallen in Xand zur Ruhe gebracht, seine halbe Streitmacht muss doch noch in Mihan, Marash und unserem eigenen unglücklichen Land stationiert sein. Wie könnte er so bald schon gegen Hierosols mächtige Mauern ziehen?«
Dan-Mozan schüttelte den Kopf. »Das kann ich Euch nicht beantworten, Edler. Ich kann Euch nur sagen, was ich gehört habe, und es wird geraunt, Sulepis habe mit erstaunlicher Geschwindigkeit eine Flotte aufgestellt, als ob etwas passiert wäre, das sein Vorhaben beschleunigt hätte.« Er wandte sich jetzt an Briony und sagte fast schon wie eine Entschuldigung: »Wir alle wissen, dass die Xixier schon lange größere Eroberungen in Eion anstreben und dass ihnen die Einnahme Hierosols die Kontrolle über die gesamte Ostaeische See und die südlichen Meere zu beiden Seiten verschaffen würde.«
Briony wedelte diese Einzelheiten ungeduldig beiseite. »Der Autarch plant einen Angriff auf Hierosol? Wo mein Vater ist?«
»Nichts als Gerüchte«, sagte dan-Mozan. »Lasst Euch davon nicht allzu sehr beunruhigen, Prinzessin. Es sind wahrscheinlich nur diese unsicheren Zeiten, die allerlei Gerede hervorbringen, auch wenn es nichts Begründetes zu sagen gibt.«
»Wir müssen hinfahren und meinen Vater holen«, erklärte sie Shaso. »Wenn wir uns jetzt einschiffen, können wir vor dem Frühling dort sein!«
Er sah sie tadelnd an und schüttelte den Kopf. »Verzeiht, dass ich das so geradeheraus sage, Hoheit, aber das ist Unsinn. Was könnten wir dort tun? Seine Gefangenschaft teilen, weiter nichts. Nein, tatsächlich würdet Ihr mit Drakava zwangsvermählt, und ich käme an den Galgen. Es gibt viele in Hierosol, die mich am liebsten tot sähen, nicht zuletzt mein einstiger Schüler Dawet.«
»Aber wenn der Autarch kommt ...!«
»Wenn der Autarch nach Eion kommt, haben wir viele Probleme, und Euer Vater ist nur eins davon.«
»Bitte, bitte, geschätzte Gäste!« Effir dan-Mozan klatschte in die Hände. »Trinkt noch etwas
Gawa,
und wir haben auch feines Mandelbackwerk. Lasst Euch keine Angst machen, Prinzessin. Das ist, wie gesagt, reines Gerede und wahrscheinlich völlig aus der Luft gegriffen.«
»Ich habe keine Angst. Ich bin wütend.« Aber sie verfiel in bedrücktes Schweigen, als dan-Mozans Neffe Talibo wieder hereinkam und noch mehr Essen und heiße Getränke auftischte. Briony sah auf ihre Hände, die sie nur mit Mühe hoheitsvoll stillzuhalten vermochte: Wenn der Jüngling sie wieder anstarrte, würde sie es gar nicht zur Kenntnis nehmen.
Shaso hingegen verfolgte das Kommen und Gehen des jungen Mannes mit kalkulierendem Blick.
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