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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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um Verzeihung, edles Fräulein. Ich wusste nicht, dass sich noch jemand hier oben ergeht. Ich spaziere gern hier — um zu denken, die Luft zu spüren.« Er hoffte, dass das hinreichend poetisch klang. In Wahrheit war es kalt und feucht hier oben, am Rand der Hauptburg, hoch über der aufgewühlten Bucht. Wäre sie nicht gewesen, hätte er lieber drinnen gesessen, an einem Feuer, mit einem Becher von etwas Geeignetem, um sein Inneres zu wärmen.
    Sie wandte sich ihm zu, streifte den Schleier zurück und sah ihn mit kühlen, grauen Augen an. Ihre Haut war ohnehin schon blass, doch hier oben, an diesem trüben Tag, war ihr Gesicht zwischen den schwarzen Kleidern und der Haube fast durchscheinend, bis auf die Augen und den fiebrig roten Mund. »Wer seid Ihr?«
    Er unterdrückte einen Jubelschrei. Sie hatte ihn nach seinem Namen gefragt! »Matthias Kettelsmit, edles Fräulein.« Er machte seine beste Verbeugung und wollte ihr die Hand küssen, aber diese kam nicht zwischen den Falten des schwarzen Mantels hervor. »Ein bescheidener Poet. Ich war Prinzessin Brionys Hofdichter.« Ihm ging auf, dass es, so formuliert, vielleicht treulos klang und außerdem suggerierte, er sei arbeitslos. »Ich
bin
Prinzessin Brionys Hofdichter«, sagte er und setzte sein frömmstes Gesicht auf. »Denn wenn uns Zoria und die Drei gnädig sind, wird sie zu uns zurückkehren.«
    Ein Ausdruck, den er nicht deuten konnte, trat auf Elan M'Corys Gesicht, während sie sich langsam wieder der Aussicht zuwandte. Warum trug sie diese Witwenkleider, wenn er doch sicher wusste — er war der Frage sorgsam nachgegangen —, dass sie unverheiratet war? Trauerte sie wirklich um Gailon Tolly? Sie waren nicht einmal verlobt gewesen, jedenfalls sagten das die Bediensteten. Viele von ihnen hielten sie für verrückt, aber das machte Kettelsmit nichts aus. Schon als er sie das erste Mal gesehen hatte, mit ihrem kupferbraunen Haar im Kontrast zu dem weißen Hals und den großen, traurigen Augen, die ins Leere starrten, während alle anderen über eins von Puzzles Unterhaltungsstückchen lachten und witzelten, war er hingerissen gewesen.
    Er zögerte, unsicher, ob er gehen sollte oder nicht.
    »Ein Dichter«, sagte sie plötzlich. »Wirklich?«
    Zu seiner eigenen Überraschung unterdrückte er eine prahlerische Antwort. »So nenne ich mich seit vielen Jahren. Aber manchmal zweifle ich an meinem Können.«
    Sie drehte sich wieder um und betrachtete ihn jetzt etwas interessierter. »Aber dies ist doch jetzt wohl die ideale Welt für einen Dichter, Meister ...«
    »Kettelsmit.«
    »Meister Kettelsmit. Das ist doch gewiss Eure goldene Zeit. Sagengestalten aus alten Zeiten laufen leibhaftig herum. Männer werden getötet, und niemand weiß warum. Geister wandeln auf den Mauern.« Sie lächelte, aber es war kein liebliches Lächeln. Kettelsmit wich einen Schritt zurück. »Wisst Ihr, ich habe sogar gehört, kürzlich heimgekehrte Seeleute erzählten von einem neuen Erdteil im Westen, hinter den Rauchenden Inseln, einem riesigen, unerforschten Land, voll von wilden Bewohnern und Gold. Stellt Euch vor! Vielleicht gibt es ja Orte, wo das Leben noch pulsiert, wo die Leute noch voller Hoffnung sind.«
    »Warum sollte das hier nicht so sein, edles Fräulein? Sind wir wirklich so schwach und verzagt?«
    Sie lachte, ein leises, raues Geräusch, als säbelte jemand mit einer Schere an Bindfaden herum. »An diesem Ort? Unsere Welt ist alt, Meister Kettelsmit. Alt und lahm — tatterig, und selbst die Kinder in ihren Betten schnappen nach Luft. Das Ende ist nah, meint Ihr nicht?«
    Während er noch überlegte, was er auf diese seltsame Behauptung antworten sollte, hörte er Geräusche und sah zwei junge Frauen herbeieilen, so schnell, dass sie auf den nassen Steinen der Mauer fast ausglitten. Er erkannte Brionys Zofen — die Blondhaarige hieß Rose, oder vielleicht war es auch irgendein anderer Blumenname. Im Nahen musterten sie Kettelsmit misstrauisch, und zum ersten Mal wünschte er, er wäre besser gekleidet. Was ihm seltsamerweise während des Gesprächs mit Elan M'Cory gar nicht in den Sinn gekommen war.
    »Edles Fräulein Elan«, rief die Dunkelhaarige, »Ihr solltet nicht allein hier oben spazieren! Denkt doch daran, was der Prinzessin widerfahren ist!«
    Sie lachte. »Meint Ihr, jemand würde die Mauern der Hauptburg erklimmen und mich verschleppen? Ich kann Euch versichern, ich habe einem Entführer nichts zu bieten.«
    Aber das stimmt nicht,
dachte Kettelsmit: Wenn

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