Das Spiel
machte sie den Mund wieder zu.
»Doch was auch immer auf uns zukommen mag, dass Ihr ein Schwert tragen werdet, glaube ich nicht. Hier braucht Ihr keins, und wenn wir dieses Haus verlassen, werden wir es heimlich tun.« Er legte das Bündel neben sich auf den Boden, griff hinein und zog einen Holzpflock heraus, der nur etwas kürzer war als Brionys Unterarm. »Ich habe Euch ja schon einiges über den Gebrauch des Dolches gelehrt, aber nur in Verbindung mit dem Schwert. Deshalb werde ich Euch jetzt beibringen, wie ein Tuani
ohne
Schwert kämpft. Steht auf.« Er schloss die Faust um den Pflock. »Tut so, als wäre das hier ein Messer. Schützt Euch.«
Er tat einen Schritt auf sie zu und ließ den Pflock auf sie einsausen. Sie riss die Hände hoch und wich zurück.
»Falsch, Kind.« Er hielt ihr den Holzpflock hin. »Macht jetzt dasselbe mit mir.«
Sie sah ihn unsicher an, tat dann einen Schritt vorwärts und stach auf seine Brust ein, bremste die Bewegung aber unwillkürlich ab. Shaso hob die Hand.
»Nein. Stecht fest zu. Ich verspreche Euch, es wird mir nicht wehtun.«
Sie holte Luft und stach zu. Seine Rechte schoss so schnell hervor, dass sie die Bewegung kaum wahrnahm, und schlug ihre Hand beiseite, während er im selben Moment auf sie zutrat, ein Bein hinter sie setzte und mit der anderen Hand gegen ihren Hals drückte. Bevor sie rückwärts über sein Bein fiel, packte er sie gerade noch am Ärmel ihres Hemds und hielt sie fest. Sanft nahm er ihr den Pflock aus der Hand.
»Jetzt versucht nachzumachen, was ich gemacht habe.«
Sie brauchte ein Dutzend Anläufe, ehe sie den Trick heraushatte, sich im selben Moment vorwärts zu bewegen, in dem sie seinen Angriff abwehrte — es war schwieriger als das Fechten mit dem Schwert, viel intimer, und Richtung und Geschwindigkeit der Bewegungen waren ganz anders, weil die Waffe so klein war, und vor allem, weil sie selbst keine hatte. Als der alte Mann damit schließlich zufrieden war, zeigte er ihr noch weitere Parier- und Beineinsatztechniken und ein paar Drehbewegungen, die nicht nur dem Ablenken oder Abfangen des Angriffs dienten, sondern auch dazu, dem Gegner die Waffe aus der Hand zu winden.
Als es auf Mittag zuging, drang endlich die Sonne durch die Wolken. Briony schwitzte inzwischen und war drei, vier Mal auf den harten Steinen des Innenhofs gelandet. Ihre Knie und ihr einer Hüftknochen schmerzten. Shaso hingegen wirkte so ruhig und unbeschadet wie zu Beginn der Lektion.
»Holt erst mal einen Augenblick Luft«, sagte er. »Ihr macht das sehr gut.«
»Warum bringt Ihr mir das bei?«, fragte sie. »Warum jetzt?«
»Weil Ihr jetzt keine königliche Hoheit mehr seid«, sagte er. »Oder zumindest nicht mehr die Privilegien einer solchen haben werdet. Keine Männer, die Euch beschützen, keine Burgmauern, die Eure Feinde abhalten. Seid Ihr bereit weiterzumachen?«
Sie rieb sich die Hüfte und fragte sich, ob es wohl unrecht wäre, Zoria zu bitten, Shaso einen schmerzhaften Krampf zu bescheren — falls Zoria sie in diesem Haus der tuanischen Großen Mutter überhaupt hören konnte. »Ich bin bereit«, sagte sie nur.
Einmal machten sie eine kurze Pause, um Wasser zu trinken, wobei Briony auch noch etwas von den Trockenfrüchten und den Fladenbroten aß, die ein gaffender Diener in den Hof herausgebracht hatte. Später versammelten sich mehrere Frauen des Hauses im Bogengang. Sie kicherten unter ihren Kapuzen, während sie fasziniert das Spektakel verfolgten. Shaso zeigte Briony weitere Körperbewegungen, Griffe, Tritte und sonstige Techniken, um einen Angreifer abzuwehren oder gar zu entwaffnen. Er zeigte ihr, wie sie einem Mann, der anderthalbmal so groß war wie sie, den Arm brechen oder ihm einen Tritt verpassen konnte, der ihn für den Rest des Tages außer Gefecht setzte. Als der alte Tuani soweit mit ihren Fortschritten zufrieden war, holte er einen zweiten Holzpflock heraus, gab ihn ihr und begann dann, sie in die Kunst des Kampfes Messer gegen Messer einzuführen.
»Lasst den Gegner niemals seine Klinge zwischen sich und Euch bringen, wenn Ihr erst mal im Handgemenge seid«, erklärte Shaso. »Dann kann selbst ein ungeschickt geführter Stich tödlich sein. Dreht die Klinge immer weg, drückt die Messerhand fort. So — seht Ihr? Wenn der Feind Euch mit der Messerhand zu nahe kommt, könnt Ihr die Sehnen auf seinem Handrücken oder an seinem Handgelenk durchtrennen. Aber passt auf, dass er Euch die Klinge nicht mit der anderen Hand entwindet.«
Als
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