Das Spiel
Ihr mir diese Kleider überlassen habt.«
Sie schob sich an ihm vorbei, wohl wissend, dass der junge Mann noch mehr sagen wollte, aber nicht willens, hier herumzustehen, bis er den Mumm aufbrachte, es zu tun. Sie glaubte seinen Blick auf sich zu spüren, während sie sich müde in die Frauengemächer zurückschleppte.
8
Ein unauffälliger Mann
Als Onyena befohlen wurde, ihrer Schwester Surazem bei der Niederkunft beizustehen, wurde sie ärgerlich und rief sie werde schon einen Weg finden, sich an Sveros Zwielicht zu rächen. Und als die drei Brüder aus Surazems gesegnetem Leib hervorkamen, stahl Onyena etwas von der Essenz des alten Gottes. Sie ging heimlich davon und benutzte Sveros' Samen, um damit drei eigene Kinder zu zeugen, erzog diese aber im Hass auf ihren Vater und alles, was er geschaffen hatte.
Der Anbeginn der Dinge,
Buch des Trigon
In Augenblicken wie diesem, da Pinnimon Vash direkt in die schrecklichen, blassen Augen seines Herrn blicken musste, fiel es ihm schwer, sich in Erinnerung zu rufen, dass Autarch Sulepis zumindest teilweise ein Mensch sein musste.
»Es wird so geschehen, o Goldener«, versicherte ihm Vash und betete dabei im Stillen, dass er jetzt entlassen würde. Manchmal wurde ihm schon ganz flau, wenn er nur in der Nähe seines jungen Herrschers war.
»Aber schnell, alter Mann. Sie hat versucht, mir zu entfliehen.« Der Blick des Autarchen hob sich, bis er aufmerksam etwas zu betrachten schien, das für alle anderen unsichtbar war. »Und außerdem ... die Götter ... sie warten ungeduldig darauf, geboren zu werden.«
Verwirrt von dieser seltsamen Äußerung zögerte Vash. War das etwas, was er zu verstehen und worauf er zu antworten hatte, oder konnte er jetzt endlich davoneilen, um seinen Auftrag auszuführen? Er mochte ja der Oberste Minister von Xis sein, dachte der alte Höfling mit einer gewissen Bitterkeit, und damit theoretisch mächtiger als die meisten Könige, aber er hatte nicht mehr reale Macht als ein Kind. Dennoch, ein Minister zu sein, der springen musste, um jede kleinste Laune des Autarchen zu befriedigen, war immer noch besser, als ein
ehemaliger
Minister zu sein: Die Geierschreine auf den Dächern des Obstgartenpalasts waren voll mit den Gebeinen ehemaliger Minister. »Ja, die Götter, gewiss«, sagte Vash schließlich, obwohl er keine Ahnung hatte, worum es ging. »Die Götter müssen geboren werden, selbstverständlich ...«
»Dann sorgt dafür, dass es
jetzt
geschieht. Oder der Himmel selbst wird weinen.« Trotz seiner barschen Worte fing Sulepis plötzlich an, auf höchst unangemessene Art zu lachen.
Als Vash so schnell aus dem Badegemach eilte, dass er fast über seine erlesenen Seidengewänder fiel, hoffte er, dass einer der Eunuchen, die die langen, eingeölten Beine des Autarchen rasierten, Sulepis versehentlich gekitzelt hatte. Es wäre doch eine beunruhigende Vorstellung, dass der Mann, der die Macht über Leben und Tod so ziemlich aller Menschen auf dem Kontinent — Pinnimon Vash eingeschlossen — in Händen hielt, gerade eben ohne Grund losgegackert hatte wie ein Wahnsinniger.
Ein Mensch,
rief sich Vash in Erinnerung.
Er muss zumindest teilweise ein Mensch sein.
Selbst wenn der Vater des Autarchen, Pamad, ebenfalls ein lebender Gott gewesen war, musste seine Mutter doch wohl eine Sterbliche gewesen sein, da sie ja als Geschenk eines ausländischen Königs in den Frauenpalast gekommen war. Doch was auch immer sich da mit dem Erbe des gottähnlichen (wenn auch inzwischen wohl unbestreitbar toten) Vaters vermischt haben mochte — beim Sohn hatten sich kaum irgendwelche menschlichen Züge durchgesetzt. Der junge Autarch war so scharfäugig, erbarmungslos und unergründlich wie der Falke im Wappen seiner Familie. Außerdem steckte Sulepis voller unerklärlicher, verrückt anmutender Ideen wie etwa diesem jüngsten Einfall — den umzusetzen Vash jetzt zu den Kasernen der Garde eilte.
Als er die bewachte Festung des Mandragorapalastes verließ und durch den riesigen Audienzsaal der Minister im Herzen des Granatapfelpalastes eilte, stoben geringere Untertanen vor ihm auseinander wie Tauben, weil sie seinen Zorn ebenso fürchteten wie er den des Autarchen. Pinnimon Vash ermahnte sich, bei Gelegenheit eine vollständige Opferzeremonie für Nushash und die anderen Götter abzuhalten. Immerhin hatte es das Glück gut mit ihm gemeint — nicht nur, weil er es so weit gebracht hatte, sondern vor allem, weil er so viele Jahre unter dem alten Autarchen und
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