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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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dieses erste Herrschaftsjahr des Sohnes überlebt hatte: Mindestens neun andere hohe Minister Parnads hatten in den wenigen Monaten unter Sulepis ihr Leben gelassen. Ja, wenn Vash sich vor Augen halten wollte, wie viel Glück er im Vergleich zu anderen gehabt hatte, brauchte er nur an den Mann zu denken, den er gleich aufsuchen würde, Hijam Marukh, den neuen Hauptmann der Leopardengarde, oder vielmehr an dessen Vorgänger, den Emporkömmling Jeddin.
    Selbst ihn, Pinnimon Vash, dem Folter und Hinrichtungen nichts Unbekanntes waren, hatten die Qualen, die dem ehemaligen Leopardenhauptmann zugefügt wurden, nicht unberührt gelassen. Auf Sulepis' Befehl hatte das Unterhaltungsschauspiel in der berühmten lepthischen Bibliothek stattgefunden, damit der Autarch lesen konnte, während er mit einem Auge den Fortgang der Prozedur überwachte. Vash hatte mit wohlverhohlenem Entsetzen zugesehen, wie der lebende Gott seine goldenen Fingerschützer im Rhythmus von Jeddins Schreien in der Luft tanzen ließ, als erfreute er sich an einer besonders hübschen Darbietung. Noch immer sah Vash die schrecklichen Bilder in seinen nächtlichen Träumen, und das Schmerzensgebrüll des Hauptmanns verfolgte ihn sogar bei Tag. Gegen Ende der Qualen hatte Sulepis tatsächlich Musiker hinzugerufen, damit sie eine improvisierte Begleitung zu den grässlichen Schreien spielten. Zwischendurch hatte Sulepis sogar mitgesungen.
    Vash hatte in den zwanzig Jahren seiner Amtszeit schon so ziemlich alles gesehen, aber so etwas wie den jungen Autarchen noch nie.
    Aber wie hätte ein gewöhnlicher Mensch beurteilen können, ob ein Gott wahnsinnig war oder nicht?
     
    »Das ist doch unsinnig«, sagte Hijam Marukh.
    »Sagt nicht so etwas Törichtes«, zischte ihm Vash zu.
    Nur eine Augenbraue zuckte im ansonsten reglosen Gesicht des Offiziers mit dem Beinamen »Steinherz«, aber Vash war klar, dass Marukh seinen Fehler erkannt hatte — die Sorte Fehler, die sich in Xis schnell als tödlich erweisen konnte. Erst vor kurzem zum
Kiliarchen
oder Hauptmann befördert, mochte der vierschrötige neue Herr der Leoparden zwar zahllose schwere Schlachten und grimmige Scharmützel überlebt haben, aber was er nicht gewohnt war, waren die Gefahren des xixischen Hofes, wo man davon ausgehen musste, dass jedes öffentlich gesprochene und auch fast jedes private Wort belauscht wurde und dass unter den Lauschern mit ziemlicher Sicherheit einer war, der einen aus dem Weg schaffen wollte oder musste. Hijam mochte ja so viele Hiebe, Stiche und Verbrennungen abbekommen haben, dass seine dunkle Haut so weiß gescheckt war wie das Fell eines Mischlingsköters, und er mochte sich seinen berühmten Beinamen dadurch erworben haben, dass er ungerührt durchs schlimmste Gemetzel voranschritt, aber das hier war kein Schlachtfeld. Im Obstgartenpalast kam der Tod nie von vorn oder auch nur offen.
    »Natürlich«, sagte Hijam Steinherz jetzt langsam und deutlich für lauschende Ohren, »muss der Goldene seinen Wettkampf bekommen, wenn es sein Wille ist. Aber ich bin nur ein Soldat und verstehe nichts von solchen Dingen. Erklärt es mir, Vash. Wofür ist es gut, wenn meine Männer gegeneinander kämpfen? Einige sind schon so schlimm verletzt, dass es Wochen dauern wird, bis sie wiederhergestellt sind.«
    Vash holte Luft. Zwar war nirgends ein Lauscher zu sehen, aber das hieß gar nichts. »Erstens ist uns der Goldene an Weisheit weit überlegen, also reicht unser Verstand vielleicht einfach nicht aus, um seine Gründe zu verstehen — wir wissen nur, dass es mit Sicherheit gute Gründe sind. Zweitens muss ich Euch daraufhinweisen, Marukh, dass es nicht Eure Leoparden sind, die um die Ehre kämpfen, vom Autarchen für besondere Zwecke auserkoren zu werden. Es sind die Weißen Hunde, und die sind zwar wertvolle Kämpfer, aber doch nur Barbaren.«
    Auch Vash hatte keine Ahnung, warum Sulepis einen Wettkampf unter seinen berühmten Weißen Hunden angeordnet hatte, einer Truppe von weißen Söldnern, deren Väter und Großväter vom nördlichen Kontinent nach Xis gekommen waren, aber Vash wusste nun mal besser als alle anderen, dass Götter-auf-Erden manchmal auf solche Dinge verfielen. Als der Autarch in den ersten Wochen seiner Regentschaft eines Morgens aus einem prophetischen Traum erwacht war und die Vernichtung aller wilden Kraniche in Xis angeordnet hatte, war es der Oberste Minister Vash gewesen, der die ihm unterstellten Minister im Granatapfelpalast zusammengerufen hatte, um sie vom

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