Das Spiel
die wie Ihr eine Schwäche für alte Hunde und nichtsnutzige Streuner hat, wenn sie auch, wie mir scheint, ein wenig älter ist als Ihr.« Jetzt nahm sein Gesicht einen seltsamen Ausdruck an, so als durchzuckte ihn ein jäher Schmerz, den er nicht zeigen wollte. »Aber Kinder verändern sich so schnell — eben noch da, dann plötzlich weg. Alles verändert sich.« Der Schmerz schien ihm den Atem zu nehmen. Erst nach einer ganzen Weile sagte er: »Und wie viele Jahre zählt Ihr, Fräulein Pelaya?«
»Ich bin zwölf. Nächstes Jahr werde ich verheiratet oder vielleicht erst im übernächsten. Zuerst ist jedenfalls meine Schwester Teloni dran.«
»Ich wünsche Euch Glück und Zufriedenheit, sowohl jetzt als auch in Eurem zukünftigen Leben. Eure Freundinnen wirken, als würden sie jeden Moment den Protektor rufen, damit er Euch rettet. Vielleicht solltet Ihr jetzt gehen.«
Sie wandte sich ab, drehte sich dann aber wieder um. »Warum habt Ihr gesagt, ich hätte nur zur Hälfte recht damit, dass Ihr König Olin von Südmark seid? Das weiß doch jeder hier.«
»Ich bin in der Tat Olin von Südmark, aber niemand ist König, wenn er der Gefangene eines anderen Mannes ist.« Jetzt erschien nicht einmal mehr das müde, traurige Lächeln auf seinem Gesicht. »Lauft, junge Pelaya vom Meer. Die anderen warten auf Euch. Möge Zoriens Gnade mit Euch sein. Es war ein Vergnügen, mit Euch zu reden.«
Die anderen Mädchen eskortierten Pelaya aus dem Garten, als wäre sie ein Deserteur, der vors Kriegsgericht geschleppt wurde. Sie sah sich noch einmal um, aber der Blick des Mannes ging jetzt wieder ins Weite, vielleicht in die Wolken oder auf die endlose Abfolge von Wellen hinaus. Viel mehr gab es von dem ummauerten Garten aus nicht
zu
sehen.
»Du hättest nicht mit ihm sprechen dürfen!«, rief Teloni. »Er ist ein Gefangener — ein Fremder! Vater wird toben.«
»Ja.« Pelaya fühlte sich traurig, aber auch irgendwie anders — seltsam, so als hätte sie aus dem Gespräch mit dem Gefangenen etwas gelernt, etwas, das sie verändert hatte, obwohl sie keine Ahnung hatte, was es gewesen sein könnte. »Ja, das wird er wohl.«
10
Krummling und seine Urgroßmutter
Zwielichts große Familie war bereits mächtig, als die Ahnen unseres Volkes das Land erreichten. Die Neuankömmlinge verteilten sich auf die beiden Zwillingsstämme, die sich Kinder der Brise und Kinder der Feuchte nannten und in ständigem Wettstreit miteinander standen.
Eines Tages befand sich Fürst Silberglanz vom Stamm der Brise auf einem Ausritt. Da erblickte er Bleiche Tochter, die von Donner abstammte, der wiederum Feuchtes Sohn war. Sie war so lieblich wie ein reinweißer Stein. Sie erwiderte den Blick des stattlichen Fürsten, der so viel Zuversicht ausstrahlte, und ihre Herzen trafen sich in einer einzigen Melodie, die immer weiter tönen wird, solange die Welt besteht.
Damit begann der lange, verlorene Kampf.
Einhundert Grundsteine,
Buch der Trauer
Barrick Eddon erwachte, gepackt von nackter Angst. Er dachte, sein Herz müsse zerspringen wie ein rohes Ei. Er nahm einen verbrannten Geruch wahr, aber um ihn herum war es kalt und erstaunlich dunkel. Zunächst hatte er keine Ahnung, wo er war. Ja, er musste im Freien sein, das Knarren und Rascheln der Zweige im Wind war unverkennbar ...
Natürlich, er befand sich jenseits der Schattengrenze.
Ihm war, als wäre er gerade aus einem langen, äußerst seltsamen Traum erwacht — ein Gefühl, das er nur zu gut kannte —, und leider war das Erwachen nicht viel tröstlicher als der Traum selbst. Die endlose Dämmerung dieser Lande hatte zwar endlich aufgehört, aber nur deshalb, weil der Himmel jetzt ganz schwarz war — nicht einfach nur nachtdunkel, sondern ohne jeden Stern, ganz so, als ob zornige Götter ein Tuch über die gesamte Schöpfung geworfen hätten. Wenn nicht noch letzte kleine Glutstückchen in der Feuerstelle vor sich hin geglommen hätten, dann wäre das Dunkel absolut gewesen. Dazu noch dieser schreckliche, stechende Geruch ...
Rauch. Gyir hat gesagt, es sei der Rauch eines riesigen Feuers, das den ganzen Himmel erfüllt und jegliches Licht erstickt.
Barrick fiel jetzt wieder ein, dass seine Augen schon den ganzen Tag geschmerzt hatten. Und sie hatten ihren Ritt unterbrechen müssen, weil er und Vansen, der Gardehauptmann, nicht mehr richtig Luft bekommen hatten.
Barrick kroch zur Feuerstelle und fachte die Glut an. Vansen schlief mit offenem Mund. Er trug seinen Kampfhelm gegen die
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