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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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das kann ich Euch nicht erzählen. Ich schäme mich meiner Schwäche.« Er wandte sich Chert zu und sah ihn verzweifelt an. »Tolly nannte ihn ›Bruder‹, weil dieser Mann, der ihm geholfen hat, sich meine Geheimnisse anzueignen, einer der Brüder von der Ostmark-Akademie ist. Okros, Bruder Okros — ein Mann, dem ich vertraut habe, als wäre er mein eigen Fleisch und Blut.«
    Chert hatte den Arzt noch nie so hilflos gesehen, so niedergeschlagen, so ... leer.
    Chaven legte das Gesicht in die Hände und sank in sich zusammen, als ob er sich nie wieder aufrichten würde. »Oh, bei allen Göttern, ich hätte es wissen müssen! Wer in einer Familie wie der meinen aufgewachsen ist, sollte wissen, dass Vertrauen nur etwas für Dummköpfe und Schwächlinge ist.«

    »Bist du verrückt?« Teloni hätte kaum schockierter sein können, wenn ihre jüngere Schwester ihr vorgeschlagen hätte, von der Seemauer ins Meer zu springen. »Er ist ein Gefangener! Und er ist ein Mann!«
    »Aber schau ihn dir doch an — er ist immer hier, und er sieht so traurig aus.« Pelaya Akuanis hatte den Gefangenen ein halbes Dutzend Mal gesehen, und immer saß der ältere Mann so still auf der steinernen Bank, als lauschte er irgendwelcher Musik, aber da war natürlich keine Musik, nur das Schreien der Vögel und das ferne Branden der See. »Ich werde mit ihm sprechen.«
    »Die Wächter werden das nicht zulassen«, warnte sie eins der anderen Mädchen, aber Pelaya hörte gar nicht hin. Sie stand auf, strich ihr Kleid glatt und ging quer durch den Garten zu der Bank. Zwei Wächter merkten auf und musterten sie eingehend, aber dann lehnte sich der eine wieder an die Mauer, während der andere genau einen Schritt auf den bärtigen Mann zutrat, den sie zu bewachen hatten — vermutlich das Ergebnis einer Anwandlung von Pflichtgefühl. Dann nahmen die beiden Aufpasser ihre leise Unterhaltung wieder auf. Pelaya wünschte, sie sähe gefährlicher aus, mehr wie jemand, der es wagen würde, einen Gefangenen zu befreien. Aber die Einschätzung der Wächter war richtig: Alles, was sie vorhatte, war, den Gefangenen anzusprechen. Vor ihren Freundinnen und den Wächtern war das schon abenteuerlich genug, auch wenn sie insgeheim von verwegeneren Taten träumen mochte.
    Als sie den Mann erreicht hatte, hob er den Kopf und sah sie mit so leerem Blick an, als wäre sie nur ein Käfer oder ein Blatt. Plötzlich ging ihr auf, dass sie ihm eigentlich gar nichts zu sagen hatte. Sie hätte am liebsten gleich wieder kehrtgemacht, aber Telonis spöttischen Blick würde sie nicht ertragen.
    Sie trat von einem Fuß auf den anderen und überlegte, was sie sagen sollte. Er sah ihr ruhig zu. Ihr war, als wäre es plötzlich völlig still im Garten. Der Mann war mindestens so alt wie ihr Vater, vielleicht sogar etwas älter. Er hatte langes, rotbraunes Haar und einen Bart von derselben Farbe, beides durchsetzt mit etwas Grau und sogar ein paar kringeligen, weißen Strähnen. Während sie ihn genauer betrachtete, musterte er sie ebenso eingehend, und das machte sie unsicher. »Wer seid Ihr?«, platzte sie so plötzlich heraus, dass es wie der herrische Anruf eines Mauerwächters klang. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, und musste sich sehr beherrschen, um nicht einfach davonzurennen.
    »Nun, mein liebes junges Fräulein, Ihr wart es, die sich mir genähert hat«, sagte er streng. Seine Stimme klang ernst, und er machte auch ein ernstes Gesicht, aber irgendetwas an der Art, wie er sprach, machte sie unsicher, ob er sie nicht vielleicht doch veräppelte. »Damit ist es zuerst an Euch, Euch vorzustellen. Habt Ihr denn nicht gelernt, was sich gehört? Habt Ihr keinen Benimmunterricht genossen? Namen sind etwas Wichtiges. Wenn man sie einmal preisgegeben hat, kann man sie nicht mehr zurücknehmen.« Er sprach Hierosolinisch mit einem merkwürdigen Akzent, hart, aber irgendwie melodisch.
    »Aber ich glaube, ich kenne Euren«, sagte sie. »Ihr seid Olin, König von Südmark.«
    »Das stimmt nur zur Hälfte.« Er runzelte die Stirn, als ob er über seine eigenen Worte nachdächte, und nickte dann langsam. »Mir scheint, gerechtigkeitshalber müsst Ihr mir nun auch die Hälfte Eures Namens verraten.«
    »Pelaya!«, rief ihre Schwester entrüstet.
    »Aha«, sagte der Gefangene. »Jetzt habt Ihr Eure Schuld beglichen, ob Ihr wolltet oder nicht.«
    »Das war unfair. Sie hat es Euch verraten.«
    »Mir war gar nicht bewusst, dass wir uns in einem Wettspiel befinden. Hmmm

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