Das Spiel
wegen der getrennten Krüge und des nicht gerade stark zu nennenden Inhalts ihres Bechers vermutete Briony, dass der Wein der Frauen mit mehr Wasser verdünnt war. Dennoch, die Kombination aus Wein und außergewöhnlicher Freiheit beschwingte ihre Tafelgenossinnen ungemein, und obwohl sie ihre Stimmen dämpften, wurde viel mehr gescherzt und gekichert als sonst, vor allem unter den Jüngeren um Fanu.
Während ein Gang nach dem anderen aufgetragen und wieder abgeräumt wurde, kamen immer wieder Männer — sowohl aus Xand als auch aus Eion — aus dem größeren Raum herüber, um von Effir dan-Mozan so etwas wie eine kurze Audienz gewährt zu bekommen. Einige waren ganz offensichtlich Seefahrer, andere den erlesenen Gewändern nach Kaufleute oder Geldverleiher. Briony merkte, dass Shaso diesen Gesprächen konzentriert lauschte, wenn er auch selbst nichts sagte und sich überhaupt so unauffällig wie möglich verhielt. Sie fragte sich, wie ihn dan-Mozan den Männern vorstellte — als einen Verwandten? Einen fremden Gast? Einen Geschäftsfreund? Und sie fragte sich erst recht, was diese Männer redeten. Es machte sie rasend, hier sitzen zu müssen, mitten in dieser Herde von ahnungslosen Frauen, während die Männer zweifellos wichtige Dinge in Zusammenhang mit der derzeitigen Lage im Königreich erörterten.
So aufmerksam Shaso den Gesprächen lauschte, so wenig tat es dan-Mozans Neffe. Talibo schien sich viel mehr für Briony zu interessieren und starrte sie auf eine Art und Weise an, die ihr auf die Nerven ging. Zuerst versuchte sie, seinen Blick zu meiden, indem sie weg schaute, sobald er wieder herüberglotzte, doch nach einer Weile empörte sie seine Dreistigkeit. Er war ja praktisch noch ein Kind — ein hübsches, aber dummes Kind! Welches Recht hatte er, sie so anzustarren, und vor allem, warum sollte
sie
sich gezwungen fühlen, den Blick abzuwenden? Es erinnerte sie daran, wie Hendon Tolly sie vor ihrem eigenen Hofstaat gedemütigt hatte, und rührte an die alte Kränkung.
Als sie Tal das nächste Mal beim Herüberstarren ertappte, starrte sie kalt zurück, bis es der Jüngling war, der wegschaute. Sie hoffte, dass seine dunkel angelaufenen Wangen ein Zeichen der Verlegenheit oder gar Scham waren.
Frecher Kerl!
Einen Augenblick war sie wütend auf alle im Raum: Shaso, dan-Mozan, Idite, die anderen Frauen, einfach jeden. Sie war eine Prinzessin, eine Eddon! Warum musste sie sich verstecken und herumschleichen wie eine Verbrecherin? Warum sollte sie Leuten dankbar sein, die nur taten, was ihre Pflicht war? Wenn die Tollys die aktiven Verursacher ihres Unglücks waren, dann waren all die, die sich nicht gegen die Thronräuber erhoben, um sie aus der Südmarksburg zu vertreiben, passive Mittäter, selbst diese Tuani-Kaufleute! Sie waren allesamt schuldig!
Jetzt war sie es, die spürte, wie ihr Gesicht erglühte. Sie senkte den Blick auf ihre Essensschale und versuchte, sich wieder zu fassen. Sie sollte lieber das Mahl genießen — Baddaras Küche war ausgezeichnet, und viele der Speisen waren aufregend fremd —, statt vor ihrem Essen zu sitzen und zu grübeln.
Sie atmete tief durch, blickte wieder auf und musste zu ihrem Ärger feststellen, dass der Neffe des Kaufmanns sie schon wieder anstarrte, wobei seine Miene noch undeutbarer war als vorhin.
Verflucht soll er sein,
dachte sie unwirsch und hielt ihren Becher so, dass sie sein Gesicht nicht mehr sehen musste.
Und verflucht seien alle Männer, ob alt oder jung. Und verflucht seien natürlich die Tollys — tausend Flüche über sie!
Nach dem ausgiebigen Mahl und dem langen Heimweg zum
Hadar
wurde Briony zu einer Unterredung mit Shaso und Effir dan-Mozan gerufen. Sie traf die beiden Männer im Innenhof, wo sie am Vortag noch versucht hatte, eine echte Klinge, wenn auch in einer ledernen Hülle, zwischen Shaso dan-Hezas Rippen zu stoßen. Sie dachte an die beiden Yisti-Dolche, die versteckt unter ihrem Bett lagen, und hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen: Shaso hatte gesagt, sie müsse die Dolche immer am Körper tragen. Sie hoffte, er würde sie nicht danach fragen.
Aber wie soll ich denn Dolche tragen, in diesen lächerlichen Kleidern — kein Gürtel, dafür diese weiten Ärmel!
Shaso stand da und musterte den Quittenbaum wie ein Obstbauer. Effir dan-Mozan stemmte seine kleine, runde Gestalt aus einem Sessel, um Briony zu begrüßen.
»Danke, dass Ihr gekommen seid, Prinzessin Briony. Wir haben heute viele interessante Dinge erfahren und
Weitere Kostenlose Bücher