Das Spiel
Verrätern unter einer Decke gesteckt hatte? Aber wenn ja, warum hatte er Briony und Barrick dann von den Kontakten zwischen dem Autarchen und dem Hof von Gronefeld berichtet? »Es ist alles so verwirrend«, sagte sie schließlich.
»Nicht alles.« Shaso wirkte, als wollte er auf der Stelle zur Südmarksburg schwimmen, um jemandem den Hals umzudrehen. »Tirnan Fretup trägt seinen Namen zu Recht. Er war immer schon unersättlich. Wenn jemand das Machtstreben der Tollys für seine Zwecke nutzen würde, dann er.«
Shaso und Effir waren gegangen und hatten Briony mit der Aufgabe allein gelassen, die neuesten Nachrichten aus Südmark und der Welt zu verdauen. Sie ging langsam im Innenhof auf und ab und schlug ihren Schal enger um sich. Dass Fretup zum neuen Vogt ernannt worden war und Berkan Hud, der Gefolgsmann der Tollys, zum Konnetabel, war nicht sonderlich überraschend, sondern zeugte nur davon, dass Hendon seine Macht zu sichern versuchte. Über Brionys Stiefmutter Anissa und das Kind hatte niemand viel zu berichten gewusst, aber man hatte sie gesehen, oder zumindest war Anissa mit einem Säugling gesehen worden.
Hendon Tolly braucht ja gar keinen echten Thronerben,
dachte Briony voller Bitterkeit.
Selbst wenn das Kind in jener Nacht gestorben ist, wer wird es je erfahren? Solange Anissa schwört, dass es ihr Kind ist, kann doch jedes Kind den Thronerben abgeben, und die Tollys werden es beschützen — was heißt, sie werden regieren.
Das Verrückteste an der ganzen Sache war, dass dieses Kind, wenn es sich denn um das echte handelte, ihr eigener Halbbruder war.
Es gab ihr einen Stich.
Vielleicht sieht er ja aus wie Vater, oder wie Kendrick oder Barrick. Ich würde ihn schon aus diesem Grund beschützen.
Zuerst merkte sie gar nicht, dass sie den Göttern und sich selbst ein weiteres Gelöbnis geleistet hatte, aber so war es.
Wenn dieses Kind wirklich das Kind meines Vaters ist, dann, o Zoria, werde ich es ebenfalls vor den Tollys retten! Es ist ja ein Eddon, und ich werde nicht zulassen, dass sie es als ihre Marionette missbrauchen.
Sie war so in diese Gedanken versunken, dass sie die Gestalt, die im Dämmerdunkel auf der anderen Seite des Hofes gestanden und sie beobachtet hatte, erst bemerkte, als sie sich näherte.
»Ihr denkt nach«, sagte Talibo, der Neffe des Kaufmanns. Sein lockiges Haar war feucht zurückgekämmt, und sein Gewand war so sauber und weiß, dass es im Zwielicht regelrecht zu leuchten schien. »Worüber zerbrecht Ihr Euch den Kopf, edles Fräulein?«
Sie versuchte, ihre Wut hinunterzuschlucken. Woher sollte er auch wissen, dass sie mit ihren Gedanken allein sein wollte. »Familienangelegenheiten.«
»Ah, ja. Familie ist sehr wichtig. Das sagen alle weisen Männer.« Er legte das Kinn in die Hand, so offensichtlich bemüht, die Haltung des Denkers einzunehmen, dass Briony kichern musste. Seine Augen weiteten sich und wurden dann schmal. »Worüber lacht Ihr?«
»Verzeiht. Ich musste an etwas Lustiges denken, das ist alles. Was führt Euch in den Garten? Ich überlasse ihn jetzt gern Euch — es ist Zeit, dass ich zum Abendessen mit den anderen Frauen gehe.«
Er sah sie fast schon trotzig an. »Ihr wollt nicht gehen. Eigentlich wollt Ihr hierbleiben.«
»Wie bitte?«
»Ihr wollt nicht gehen. Das weiß ich. Ich habe gesehen, wie Ihr mich angeschaut habt.«
Sie schüttelte den Kopf. Er sprach in ihrer Sprache und benutzte einfache Wörter, aber sie verstand überhaupt nichts. »Was meint Ihr, Tal?«
»Nennt mich nicht so. Das ist ein Name für ein Kind. Ich bin Talibo dan-Mozan. Ihr habt mich angeschaut. Ich habe gesehen, wie Ihr mich angeschaut habt.«
»Ich —
Euch ...?«
»Eine Frau schaut einen Mann nicht so an, wenn sie kein Interesse an ihm hat. Keine Frau wirft einem Mann so schamlose Blicke zu, wenn sie nichts von ihm will.«
Briony wusste nicht, ob sie ihn auslachen oder anschreien sollte. Er war übergeschnappt! »Ihr ... Ihr wisst nicht, was Ihr sagt! Ihr wart es doch, der mich angestarrt hat! Ihr starrt mich an, seit ich hier bin!«
»Für eine Eioni seid Ihr wirklich eine hübsche Frau.« Er zuckte die Achseln. »Na ja, ein Mädchen. Aber trotzdem, nicht übel anzusehen!«
»Wie könnt Ihr es wagen? Wie könnt Ihr mit mir sprechen ... wie mit einer Dienstmagd!«
»Ihr seid nur eine Frau und habt keinen Ehemann, der Euch beschützt. Ihr könnt nicht einfach Männern schöne Augen machen.« Er sagte es so gelassen und sachlich, als beschriebe er das Wetter.
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