Das Spiel der Götter 14: Die Stadt des blauen Feuers (German Edition)
ich kenne alle möglichen Leute. Bitte, wir können das ganz logisch angehen – unten bei den Docks, habt Ihr gesagt? Wir müssen herausfinden, welche Schiffe den Hafen in den letzten beiden Tagen verlassen haben – die Handelssaison fängt gerade erst an, von daher sollten es nicht allzu viele gewesen sein. Er heißt Harllo und er ist fünf Jahre alt …« Bei den Göttern hienieden, er ist erst fünf Jahre alt, und du hast ihn raus auf die Straße geschickt? »Könnt Ihr ihn mir beschreiben? Seine Haarfarbe, seine Augen, all diese Sachen?«
Myrla nickte, während ihr Tränen die runzligen Wangen hinunterrannen und sie am ganzen Körper zitterte. Sie nickte und hörte gar nicht auf zu nicken.
Stonny wirbelte herum und eilte davon; ihre Schritte hallten laut durch den Korridor.
Murillio starrte ihr verblüfft hinterher. »Wo – was?«
»Harllo ist ihr Sohn, versteht Ihr«, sagte Myrla, immer wieder von Schluchzern unterbrochen. »Ihr einziger Sohn, nur dass sie ihn nicht will, und deshalb ist er bei uns, aber Snell hat manchmal böse Gedanken und tut manchmal schlimme Dinge, aber doch nicht so schlimme, so schlimme hat er noch nie getan und etwas so Schlimmes würde er Harllo niemals antun, nein, das würde er nicht!«
»Wir werden ihn finden«, sagte Murillio. Auf die eine oder andere Weise, möge der Zug der Lady uns segnen – uns und den Jungen. »Und jetzt beschreibt ihn mir bitte und beschreibt ihn gut – und ich muss auch wissen, was er normalerweise jeden Tag macht. Alles, was Ihr mir sagen könnt, Myrla. Alles.«
Auf eine dumpfe, aber durchaus richtige Weise konnte Snell verstehen, wie er das Vertrauen anderer, die nur das Beste in ihm sehen wollten, willentlich missbrauchen konnte, und selbst wenn einmal eine Wahrheit ans Licht gezerrt werden sollte, nun ja, dann ging es eigentlich nur darum, sich zerknirscht und voller Selbstmitleid zu zeigen, und die große Verteidigerin würde ihn in die Arme nehmen – wie Mütter es eben tun.
Können wir hoffen, dass er bei seltenen Gelegenheiten – vielleicht spät in der Nacht, wenn die Ängste näher krochen – darüber nachdachte, wie die Dinge, die er getan hatte, das Vertrauen seiner Mutter beschädigen konnten, und zwar nicht nur ihr Vertrauen in ihn, sondern auch in sich selbst? Schließlich ist der Sohn nichts weiter als eine Ausweitung der Mutter – zumindest glaubte das die Mutter dort drinnen, in einem unklaren Teil ihrer Seele, unbemerkt, aber fest wie eine eiserne Kette. Greife das Kind an, und du greifst auch die Mutter an, denn durch einen solchen Angriff wird ihr Sein als Mutter herausgefordert – die Lektionen, die sie erteilt oder nicht erteilt hat, die Dinge, die sie nicht zu sehen beschlossen hat, die sie wegerklärt hat, von denen sie so getan hat, als wären sie anders, als sie es wirklich waren.
Weint um die Mutter. Snell tut das nicht und würde es nie tun, er spart sich all seine zukünftigen Tränen ausschließlich für sich selbst auf. Die schleichenden Ängste erweckten erstaunliche Gedankenfunken, so etwas wie ein Beinahe-Mitgefühl, aber sie reichten nie weit genug, dass sie zu so etwas wie Selbsterkenntnis führten oder zu Mitgefühl für die Mutter, die ihn bedingungslos liebte. Sein Wesen war von der Art, die nahm, was immer ihm gegeben wurde, als wäre es ein Geburtsrecht, alles, für immer und ewig.
Wut über Ungerechtigkeit kam immer dann auf, wenn ihm etwas – irgendetwas – vorenthalten wurde. Dinge, die ihm rechtmäßigerweise zustanden, und natürlich stand ihm alles zu, was er wollte. Er griff nach allem, was er wollte, und oh, was für eine rasende Wut das war, wenn diese Dinge sich seinem Griff entzogen oder weggenommen wurden!
Wenn einem Kind keine von den Beschränkungen auferlegt werden, die ihm hätten auferlegt werden können, wird es der Welt die Struktur verleihen, die ihm passt. Von einem Geist geschaffen, der kaum erwacht ist – und bezogen auf die Innenschau ganz offensichtlich nicht einmal das –, wird eine solche Welt in der Tat zu einem seltsamen Ort. Aber lasst uns nicht über die Versäumnisse der Erwachsenen um ihn herum lästern, die durch Blutsbande oder was auch immer gebunden sind. Manche Kinder werden in einem Käfig geboren – er ist bereits da, in ihren Köpfen –, und es ist ein dunkler Käfig.
Er lief durch die Straßen, floh vor all den grausamen Fragen, die ihm entgegengeschleudert wurden. Sie hatten kein Recht, ihm solche Vorwürfe zu machen. Oh, wenn er erst einmal
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