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Das Spiel der Götter 14: Die Stadt des blauen Feuers (German Edition)

Das Spiel der Götter 14: Die Stadt des blauen Feuers (German Edition)

Titel: Das Spiel der Götter 14: Die Stadt des blauen Feuers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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notwendig war, um die Familie zusammenzuhalten.
    Nachdem er sich selbst eine Zwiebel genommen hatte, begab sich der Junge namens Harllo in eine sichere Ecke des einzigen Zimmers, und einen Augenblick, ehe er zubiss, schaute er auf und begegnete dem Blick von Onkel Eins, sah das Blinzeln und nickte als Antwort.
    Ganz wie Onkel Zwei immer sagte, es war die Wahl des richtigen Zeitpunkts, wonach ein Mann die Welt – und seinen Platz in ihr – bemaß. Die Wahl des richtigen Zeitpunkts war keine Welt des Vielleicht, sondern eine Welt des Ja und Nein, eine Welt des Dies, nicht des Das. Des Jetzt, nicht des Später. Die Wahl des richtigen Zeitpunkts war allen Tieren in der Natur zu eigen, die andere Kreaturen jagten. Sie gehörte zum Tiger und seinen unverwandt blickenden, beobachtenden Augen. Und sie gehörte auch zur Beute, wenn aus dem Jäger ein Gejagter wurde, wie es mit Cousin Eins war, jeder Augenblick ein Wettstreit, ein Kampf, ein Duell. Aber Harllo lernte die Art des Tigers, dank Onkel Zwei, dessen Haut sich in die eines Tigers verwandeln konnte, wenn seine Wut kalt und tödlich erwachte. Der die Augen eines Tigers hatte und der tapferste und klügste Mann in ganz Darujhistan war.
    Und der Einzige – abgesehen vom jungen Harllo selbst –, der die Wahrheit über Tante Zwei kannte, die in Wirklichkeit gar nicht Tante Zwei war, sondern Mutter Eins. Auch wenn sie es nicht zugeben würde, es niemals sagen würde und am liebsten gar nichts mit ihrem einzigen Sohn zu tun haben wollte, dem Kind des Schänders. Früher einmal hatte Harllo geglaubt, dass Schänder der Name seines Vaters wäre, aber inzwischen wusste er, dass ein Schänder ein Mann war, der etwas tat, das Vergewaltigung hieß, und dass das wiederum etwas war, das Menschen anderen Menschen antaten, so gemein wie ein Ellbogenstoß in die Rippen oder vielleicht sogar gemeiner. Und deshalb blieb Mutter Eins Tante Zwei, und deshalb vermied sie bei den seltenen Gelegenheiten, wenn sie zu Besuch kam, jeden Blickkontakt mit Harllo, ganz egal, wie sehr er ihn auch herbeizuführen versuchte, und deshalb würde sie auch nie etwas über irgendetwas sagen, ohne dass ihre Stimme wütend klang.
    »Tante Stonny hasst Worte, Harllo«, hatte Grantl ihm erklärt, »aber nur, wenn diese Worte ihr zu nahe kommen, wenn sie dorthin gekrochen kommen, wo sie sich versteckt, kannst du das sehen?«
    Ja, er konnte es sehen. Er konnte sehr viel sehen.
    Sein Blick fiel auf Snell, der ein boshaftes Gesicht machte und ihm lautlos schlimme Dinge versprach. Seine kleine Schwester, Cousine Zwei, die eigentlich Miau hieß, beobachtete alles vom Tischrand aus, an dem sie sich festhielt; sie sah, aber sie verstand nicht, aber wie hätte sie das auch können sollen – sie war ja erst drei Jahre alt; während Cousine Drei, ein anderes Mädchen, das Tippie hieß, gut eingewickelt in der Wiege lag und dort sicher war, sicher vor allem, wie es für die Kleinsten sein sollte.
    Harllo war fünf, vielleicht auch schon fast sechs, aber bereits groß – hoch aufgeschossen, lachte Grantl, hoch aufgeschossen und dürr, denn so wachsen Jungen nun mal.
    Tante Myrla hatte das restliche Gemüse in einem dampfenden Topf über der Feuerstelle, und Harllo sah, wie sie ihrem Mann einen wissenden Blick zuwarf, der nickte, ohne damit aufzuhören, die Stümpfe unterhalb seiner Knie zu massieren, wo die meisten Menschen Schienbeine und Knöchel und dann noch Füße hatten, aber Onkel Bedek hatte einen Unfall gehabt – was so etwas Ähnliches war wie eine Vergewaltigung, nur ohne Absicht –, und deshalb konnte er nicht mehr laufen, was das Leben für sie alle ziemlich hart machte und bedeutete, dass Harllo tun musste, was notwendig war, denn Snell schien nicht daran interessiert zu sein, irgendetwas zu tun. Außer Harllo zu quälen, natürlich.
    Die Luft in dem beengten Raum roch jetzt erdig und süß, als Myrla mehr Dung in die Feuerstelle unter dem Topf legte. Harllo wusste, dass er morgen vermutlich hinausgehen und mehr sammeln musste, und das konnte bedeuten, dass er ganz aus der Stadt raus musste, und dann am Westufer des Sees entlang, und das war ein echtes Abenteuer.
    Snell schluckte den letzten Rest Zwiebel hinunter und kroch ein bisschen näher an Harllo heran, wobei er die Hände zu Fäusten ballte.
    Aber Harllo hatte bereits die Schritte gehört, die draußen auf der Gasse über die toten Palmwedel vom zusammengebrochenen Dach gegenüber knirschten, und einen Augenblick später schob Onkel Zwei den

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