Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
Unterschied denn erkennen?«, wollte sie wissen.
Ach du meine Güte, dachte Julian und spürte sein Gesicht heiß werden. »Tja, weißt du, Anne … Na ja, wie soll ich sagen …«
»Es wäre besser, du würdest Lady Anne zu mir sagen«, ermahnte sie ihn nicht unfreundlich.
»Ehrlich?«, fragte er und stürzte sich dankbar auf den Themenwechsel. »Warum?«
»Weil ich eine Dame bin und du ein Stallknecht, und es gehört sich so, dass du mir Respekt erweist.«
»Du … Ihr kennt Euch schon ziemlich gut aus, was? Wie alt seid Ihr denn, Lady Anne?«
»Fünf.« Sie sagte es, als fände sie das ziemlich alt.
Julian zeigte sich gebührend beeindruckt. »Schon? Alle Achtung.«
»Seit Ostern bekomme ich Schulunterricht, und Schwester Isadora, die meine Schwester und mich unterrichtet, hat gesagt, ich müsse mehr auf meine Stellung achten. Deswegen hab ich gesagt, du musst mich Lady Anne nennen.«
»Verstehe, Lady Anne.«
»Schwester Isadora sagt auch, es ist wichtig, dass jeder genau weiß, welchen Rang Gott ihm in der Welt zugewiesen hat. Damit jeder lernen kann, mit seinem Platz zufrieden zu sein.«
»Eure Schwester Isadora hat Recht, denke ich. Es ist nur nicht immer so einfach, wie es klingt.«
»Warum nicht?«
»Nun ja, weil …«
»Anne?«, erscholl eine besorgte Stimme aus dem Stall unten. »Anne, bist du hier?«
Die Kleine stieß einen Laut des Missfallens aus und verdrehte die Augen, rief aber artig: »Hier, Lady Janet.« Und Julian raunte sie zu: »Meine Gouvernante.«
»Was hast du denn da oben verloren, du schreckliches Kind?«, rief die Gouvernante, deren Tonfall bekundete, dass ihre Duldsamkeit auf eine zu harte Probe gestellt wurde. »Komm auf der Stelle herunter, na los.«
»Na gut, ich komm ja schon«, antwortete Anne gleichermaßen gereizt. Unwillig ging sie zur Luke zurück, legte eine Hand auf die Leiter, blickte nach unten und zögerte.
»Warte.« Hastig trat Julian zu ihr und verneigte sich höflich, die Hand auf der Brust. »Lady Anne, würdet Ihr mir wohlgestatten, Euch auf den Arm zu nehmen und sicher nach unten zu geleiten?«
Sie nickte erleichtert. Julian hob sie hoch, setzte sie auf seinen linken Arm, und sie schlang ihre beiden vertrauensvoll um seinen Nacken und kniff die Augen zu.
Nur mit Hilfe der Rechten machte er sich langsam an den Abstieg. »Euch schwindelt auf Leitern?«, fragte er sie ungläubig.
Sie nickte, die Augen fest zugekniffen. »Nur beim Runterklettern«, schränkte sie ein.
Er lachte. »Aber früher oder später muss man immer wieder nach unten, Lady Anne.«
»Ja, ich weiß«, räumte sie unwillig ein.
Sicher gelangten sie herunter, Julian stellte Anne auf die Füße und schob sie zu ihrer Gouvernante.
Diese zog das Kind hastig an sich und beäugte den Mann mit unverhohlenem Argwohn. »Wer bist du?«, fuhr sie ihn an »Was hattest du dort oben mit ihr verloren?« Sie konnte selbst nicht viel älter als sechzehn oder siebzehn sein, aber sie trug ein schwarzes Kleid und das Haar bedeckt – eine Witwe. Wir haben verdammt viele Frauen zu Witwen gemacht in den letzten zwei Jahren, fuhr es Julian durch den Kopf.
Er verneigte sich auch vor ihr. »Julian, Earl of Waringham, Madam, zu Euren Diensten. Vergebt mir, dass ich wie ein Stallbursche daherkomme. Es ist sozusagen eine alte Familientradition, wisst Ihr.«
Sie glaubte ihm auf der Stelle, dass er der war, für den er sich ausgab, denn kein Stallknecht auf der Welt konnte so reden. Sie lächelte erleichtert. »Janet Bellcote, Mylord.«
Es gab ein paar Bettelritter dieses Namens in Shropshire und Herefordshire, wusste Julian. » Enchanté , Lady Janet.«
Sie war hübsch, fand er. Die Wangenknochen vielleicht eine Spur zu breit, die Brust unter dem schwarzen Satin eine Spur zu üppig für eine Dame, aber sie hatte herrliche meergraue Augen, dunkler als die seinen. Wikingerblut, fuhr es ihm durch den Kopf. Er nickte auf die kleine Anne hinab. »Wir haben unsüber standesgemäßes Betragen und die göttliche Weltordnung unterhalten, Madam.«
Die Gouvernante seufzte in komischer Verzweiflung. »Was standesgemäßes Betragen angeht, hat diese junge Dame noch eine Menge zu lernen.«
Anne zeigte ihr verstohlen eine lange Nase.
Julian wahrte mit Mühe ein ernstes Gesicht, schaute dann an sich hinab und erwiderte: »Das Gleiche könnte man von mir behaupten, nicht wahr?«
Lady Janet lächelte unsicher. »Man sieht jedenfalls nicht auf den ersten Blick, wer oder was Ihr seid, Mylord«, antwortete sie
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