Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
zu ihr und verneigte sich höflich. »Lady Anne. Es ist eine große Freude, Euch zu sehen.«
»Tatsächlich?« Auch sie verzog die Mundwinkel der guten Form halber nach oben. »Wie untypisch lange Ihr Euch diese Freude versagt habt, Mylord. Ich hatte beinah schon den Eindruck, Ihr meidet mich.« Nicht der erwartete Spott stand in ihren Augen, sondern Feindseligkeit.
»Wie unverzeihlich von mir, Madam.«
»Ihr werdet in der Einsamkeit Eurer Gefangenschaft doch hoffentlich nicht allmählich zum Eigenbrötler?«
»Ich glaube nicht. Aber ich ziehe das Alleinsein Eurer Gehässigkeit vor.«
Ihr gekünsteltes Lächeln verschwand wie weggewischt. »Ihr seid noch derselbe Flegel wie eh und je. Dabei solltet Ihr dankbarsein, dass Ihr es hier so komfortabel angetroffen habt. Mein Gemahl ist viel zu nachsichtig mit Euch unbelehrbaren Lancastrianern!«
»Unbelehrbare Lancastrianer?«, wiederholte er ungläubig. »Darf ich Euch daran erinnern, dass Euer Vater dem Haus Lancaster sein ganzes Leben lang in großer Ergebenheit gedient hat? Ist es nicht ein wenig lächerlich, wenn gerade Ihr so tut, als sei dieser Konflikt etwas Persönliches für Euch?«
»Ich bin genau wie mein Gemahl seit jeher der Ansicht, dass das Haus York den begründeteren Anspruch auf die Krone hat!«
Er winkte angewidert ab. »Mir wird ganz schlecht, wenn ich mir vorstelle, wie viele Edelleute in England das auf einmal behaupten. Weil sie ihr Mäntelchen nach dem Wind hängen. In Wahrheit habt Ihr Euch doch nur auf die Seite geschlagen, wo Ihr die fettere Beute gewittert habt, Madam, Ihr ebenso wie Euer Gemahl.«
Sie hob die Hand, um ihn zu ohrfeigen, aber Julian fing sie ab. Er hatte gründlich genug von schlagkräftigen Yorkistinnen. Sofort ließ er ihr Handgelenk wieder los, trat einen Schritt zurück und machte einen verächtlichen kleinen Diener. »Guten Tag, Lady Anne.«
Sie wartete vergeblich darauf, dass er die Hände verschränkte und ihr beim Aufsitzen half, also winkte sie ungeduldig den Stallburschen herbei, der in der Nähe gestanden hatte, ihr willig seine Hände als Trittleiter darbot und sie mit einem gekonnten Schwung in den Damensattel beförderte.
Lady Anne nahm die Zügel auf und schaute mit halb geschlossenen Lidern auf Julian hinab. »Haltet Euch von meinen Töchtern fern, Sir. Falls nicht, sorge ich dafür, dass man Euch einkerkert, wie Ihr’s verdient hättet.« Und mit dieser fürchterlichen Drohung ritt sie zum Tor, wo ihre Eskorte sie erwartete.
Julian stieß hörbar die Luft aus und verschränkte die Arme. »Ich weiß nicht, Jack«, sagte er seufzend zu dem Stallburschen. »Ich hab einfach kein Glück mit den Frauen.«
Jack grinste vor sich hin. »Tja, unsere Lady Anne ist schon ein harter Brocken.«
Du kennst die Königin nicht, lag Julian auf der Zunge, aber er schluckte es lieber hinunter. Auch wenn Marguerite außer Landes geflohen war und bald offiziell nicht mehr Königin sein würde, war Julian sehr daran gelegen, dass ihr brisantes Geheimnis genau das blieb: ein Geheimnis. Vielleicht würden die Yorkisten eines Tages nach einem triftigen Grund suchen, um ihn aufzuhängen, zu vierteilen oder auszuweiden, und den wollte er ihnen nicht auf dem Präsentierteller liefern.
»Harter Brocken kommt hin«, antwortete er stattdessen.
»Ihr wart auch nicht gerade besonders höflich, Mylord, wenn ich das mal so offen sagen darf.«
»Da hast du Recht. Ich muss dringend an meiner Taktik arbeiten. Und ich denke, ich fange mit einer ganz kleinen Dame als Übungsobjekt an.«
Jack sah aus, als werde ihm mulmig. »Ihr solltet lieber auf sie hören, Sir. Sie meint, was sie sagt.«
»Oh ja, darauf wette ich. Ich vertraue auf deine Verschwiegenheit.«
Er fand die kleine Anne wieder bei den Katzen auf dem Heuboden. Er hatte gesehen, dass ihre Gouvernante und ihre ältere Schwester Isabel die Countess auf ihren Ausritt begleiteten, und inständig gehofft, dass Anne die Gelegenheit nutzen würde, um alle Verbote zu missachten und das zu tun, was sie wollte. Das hätte seine Schwester gewiss getan, wusste er, und die treuherzige kleine Anne hatte ihn auf Anhieb an den Wildfang erinnert, der Blanche früher gewesen – oder eigentlich bis auf den heutigen Tag war.
Sie sah auf, als sie ihn kommen hörte, und lächelte ihm verschwörerisch zu. »Ihr werdet mich doch nicht verpetzen, oder, Mylord?«
Julian schüttelte inbrünstig den Kopf, trat zu ihr und hockte sich neben sie. Die Katzenjungen waren jetzt alle vier wach
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