Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
in der Stimme, dass es ihr fast das Herz zerriss. Sie küsste ihm die Nasenspitze und beide Augenlider. »Heute nicht. Aber ich komme morgen oder übermorgen wieder, um nach dir zu sehen. Ich bin nie weit fort.« Sie senkte die Stimme zu einem tonlosen Flüstern. »Du hast doch nicht vergessen, was dein Onkel dir versprochen hat, oder?«
Er schüttelte den Kopf.
»Na siehst du. Also sei beruhigt. Außerdem sind Rhys und Generys immer bei dir.«
»Ja. Gewiss«, sagte er höflich, wohl mehr, um Rhys und Generys nicht zu beleidigen. Aber es war nicht das, was er sich wünschte. Es war nicht genug. Tränen schimmerten in den kranken Augen, aber er blinzelte sie weg.
Blanche tat es ihm gleich. Hätte Gott diesen Moment gewählt, um dieses Gemach im Westturm von Pembroke Castle zu betreten, dann wäre Blanche mit den Fäusten auf ihn losgegangen.
»Es tut mir leid, Richmond«, flüsterte sie. »Es ist so wenig das, was wir wollen, wie es das ist, was du willst. Aber du bist ein großer Junge und verstehst, dass man nicht immer die Wahl hat, nicht wahr. Und du verstehst auch, dass dein Onkel dir nicht helfen und nicht über dich wachen kann, wenn er tot ist, oder?«
»Ja.«
Sie lächelte ihm zu. »Eins schwör ich dir: Malachy Devereux wird dich nie wieder behelligen.«
Blanche kannte sich gut aus in Pembroke Castle. Sie wusste genau, wo sie finden konnte, was sie brauchte.
Zusammen mit Meilyr hatte sie hinter der Waffenkammer Posten bezogen und ihm erklärt, was sie vorhatte. Als Malachy mit einer Schar weiterer Knappen den Hof überquerte, sagte sie dem hünenhaften Tischler, welcher er war, und Meilyr trat auf die Gruppe zu. Kurz sprach er mit Malachy, höflich, aber nicht unterwürfig, und der Knappe folgte ihm anstandslos. Knappen standen weit unten in der Hierarchie eines Hofes. Wenn einHandwerker gesetzten Alters einem Knappen ausrichtete, der Waffenmeister wünsche ihn umgehend zu sprechen, war der Knappe gut beraten, ihm zu folgen.
Blanche sah ihnen aus dem Schatten entgegen. Malachy war der älteste ihrer Stiefsöhne und musste jetzt ungefähr sechzehn sein, hatte sie ausgerechnet. Er sah gut aus, genau wie sein Vater, dem er verblüffend ähnlich war. Auch Thomas Devereux’ Körperhaltung hatte der Sohn übernommen: Das gehobene Kinn und die vorgereckte Brust drückten Hochmut ebenso aus wie die ständige Bereitschaft, die Ehre der Devereux gegen jeden zu verteidigen, der sie in Zweifel zog. Blanche hatte früh in ihrer Ehe gelernt, dass Thomas Devereux darunter litt, nur ein kleiner Ritter und kein Adliger zu sein. Sein Groll gegen sie rührte auch daher, dass sie von edlerem Geblüt war als er. Offenbar war es ihm gelungen, seinem Sohn diese Giftmischung aus Arroganz und mangelndem Selbstbewusstsein einzuimpfen, auf dass Malachy auch darin seinem Vater nacheifern möge, sein ganzes Leben in Unzufriedenheit zu fristen.
Blanche seufzte verstohlen und stählte sich gegen den leisen Anflug von Mitgefühl, der sie überkommen wollte. Das konnte sie jetzt nicht gebrauchen. Ehe Meilyr und der Knappe die Waffenkammer betraten, ging sie hinter einem hohen Holzgestell, auf welchem Hellebarden aufgereiht standen, in Deckung.
»Master Holmes?«, fragte der Knappe. »Irgendetwas nicht in Ordnung mit den Schwertern, die ich gestern …«
»Hier ist kein Master Holmes, Bübchen«, unterbrach Meilyr.
»Was soll das?«, fragte Malachy irritiert. »Was denkst du dir eigentlich, du …«
Blanche huschte lautlos hinter ihn, legte eine Hand auf seine Schulter und setzte ihm gleichzeitig die Klinge an die Kehle. »Dreh dich nicht um, Malachy«, raunte sie ihm ins Ohr. »Wenn du nicht genau tust, was ich sage, schneid ich dir die Kehle durch, hast du verstanden?«
Er keuchte erschrocken. »Wer … bist du?«, fragte er verwirrt. »Was wollt ihr von mir?«
»Ich will dir eine Geschichte erzählen«, flüsterte Blanche.
Malachy schauderte. Die leise, körperlose Stimme war ihm offenbar unheimlich. »Wer bist du?«, wiederholte er.
»Dazu kommen wir später«, versprach sie, so grimmig, dass seine Augen sich weiteten. »Erst einmal sprechen wir über Meilyr hier. Er hat nur eine Hand, siehst du? Genau wie dein Vater, Malachy.«
Der Knappe fuhr unwillkürlich zusammen. »Mein Vater?«
»Schsch«, machte Blanche. »Vergiss nicht, was ich gesagt habe. Ein falscher Schritt, und du bist tot. Hast du vielleicht schon mal gesehen, wie ein Schwein blutet, wenn man ihm die Kehle durchschneidet? Bei Menschen sieht es
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