Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
verdient hatte. Er hatte Geoffrey immer als Cousin, als einen Mann von ebenbürtigem Stand behandelt, obwohl er das in Wahrheit nicht war. Er hatte Adam ermöglicht, seinen Traum zu verwirklichen, hatte aus einem unfreien Knecht einen reichen Bauern gemacht. Sie schuldeten ihm beide etwas. Und doch hatten sie ihn schändlich verraten. Unweigerlich brachte diese Erkenntnis ihn zu der Frage, was er falsch gemacht hatte. Warum es ihm nicht gelungen war, mehr Ergebenheit in ihnen zu wecken. Seinem Vater, mutmaßte er, wäre das niemals passiert. Er verstand nicht, wieso, aber er war sicher, dass es irgendwie seine eigene Schuld war, und das steigerte seinen Zorn.
Mit langen Schritten lief er den Burghügel hinab, rannte beinah, so als versuche er, seiner Wut und Enttäuschung davonzulaufen. Er erklomm den Mönchskopf, blieb auf der kahlen, runden Kuppe einen Moment stehen, um sich umzuschauen, und ging weiter ins Gestüt. Auch das war etwas, das seinen Zorn erregte: Die berühmte Pferdezucht von Waringham hatte einen neuen Stallmeister bekommen, ohne dass irgendwer es für nötig befunden hätte, Julian nach seiner Meinung zu fragen. Ausgerechnet Roland, der sich zuzeiten immer noch wie ein ungezogener Bengel benahm, den man nur kontrollieren konnte, wenn man ihn an der kurzen Leine hielt. Auf einmal war er Julians Kompagnon, befand sich auf gleicher Augenhöhe mit dem Earl of Waringham, von dem er sich nichts mehr vorschreiben zu lassen brauchte. Dabei konnte nichts Gutes herauskommen, befand Julian.
Er ging zwischen den langgezogenen Stallgebäuden entlang, und allmählich verlangsamten sich seine Schritte. Es war früher Nachmittag – die ruhigste Zeit des Tages im Gestüt.Trotzdem begegnete er hier und da einem der Stallburschen. Einer führte zwei Jährlinge auf die Weide. Auf der Koppel hinter dem letzten Stallgebäude heizte ein anderer die Esse ein. Offenbar hatte der Schmied sich für den Nachmittag angesagt, um die Zweijährigen neu zu beschlagen. Alle grüßten Julian respektvoll, aber eine Spur nervös. Vermutlich fragten sie sich, wie er auf die Neuigkeit reagieren würde, dass in Waringham in seiner Abwesenheit die Mäuse auf dem Tisch tanzten.
Zu seinem Verdruss musste er feststellen, dass im Gestüt alles zum Besten stand. Eigentlich war das keine Überraschung. Roland hatte die Gabe. Und er hatte im Gestüt vom ersten Tag an eine Sorgfalt walten lassen, die er bei allen anderen Aufgaben vermissen ließ. Er war, das konnte man bereits jetzt erkennen, ein guter Stallmeister. Dennoch wollte Julian die Hoffnung nicht aufgeben und machte einen äußerst kritischen Rundgang. Er ging in die Futterscheune und begutachtete die Bestände und deren Lagerung. In der Sattelkammer überprüfte er Sättel und Zaumzeuge auf deren Zustand. Schließlich betrat er Geoffreys ehemaliges Haus, ging in die Halle, holte die Bücher aus ihrer Truhe und sah die Einträge des letzten Vierteljahres durch. Wie erwartet, stand es hervorragend um das Gestüt. Die Aufzucht und der Verkauf hochklassiger Reitpferde hatten sich als segensreicher Geschäftszweig erwiesen, und auch die Preise für Schlachtrösser hatten wieder angezogen. Wir werden reich dank dieses gottlosen Bruderkrieges, dachte Julian beklommen.
Er klappte die Bücher zu, räumte sie zurück an ihren Platz, ohne sich sonderlich zu bemühen, seine Spuren zu verwischen, und auf dem Weg hinaus stieß er an der Tür fast mit einer jungen Frau zusammen.
Sie wich erschrocken einen Schritt zurück und senkte den Kopf, als fürchte sie einen Schlag.
Julian musterte sie. »Nun, Merle? Ich bin sicher, es gefällt dir, in einem so feinen Haus zu leben, nicht wahr?«
»Ich lebe schon fast zehn Jahre hier, Mylord«, antwortete sie, ohne ihn anzusehen. »Ich war Sir Geoffreys Köchin.«
»Und nun bist du die Frau seines Nachfolgers und kommandierst wahrscheinlich deine Schwestern und Cousinen als deine Mägde herum, hm? Dieser Krieg vollbringt wirklich die sonderbarsten Wunder. Er macht aus Edelleuten Bettler und aus Bauernschlampen feine Ladys.«
Sie hob das Kinn ein wenig und warf ihm einen blitzschnellen Blick zu. Nur ganz kurz, aber es reichte, um ihm zu zeigen, dass sie wütend war. »Es gibt nichts, das Ihr sagen könntet, was ich nicht schon von meinem Vater gehört habe, Mylord. Aber ich bin keine Schlampe.«
»Nein?« Er wies auf ihren Bauch. Sie trug ein schweres Tischtuch gefaltet über dem Arm, das sie wie einen Schild vor ihren Körper hielt, seit sie ihn
Weitere Kostenlose Bücher