Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
bei dem Buch, das er zuletzt gelesen hatte.
»Da hast du wohl Recht«, stimmte Lucas grinsend zu. Dann wies er Julian an: »Iss.«
Es war halb eine Bitte, halb ein Befehl. Julian ahnte, dass seine anhaltende Lethargie die Geduld seines Freundes auf eine harte Probe stellte. Vermutlich fand Lucas es unritterlich, sich kampflos der Schwermut zu überlassen, aber das sagte er nicht, und er vergriff sich niemals im Ton.
Julian nahm sich von den Nieren und dem Püree und begann zu essen, um seinen guten Willen unter Beweis zu stellen. »Herrje …«, murmelte er kopfschüttelnd. »Wann habe ich zuletzt etwas so Köstliches gegessen?« Ohne es zu merken, aß er schneller, und als Mortimer ihm ein zweites Mal auffüllte, aß er gedankenverloren weiter.
Mortimer und Lucas wechselten ein verstohlenes Grinsen.
Sie hatten sich über seinen ausdrücklichen Befehl hinweggesetzt und beschlossen, bei ihm im Tower zu bleiben, was bedeutete,dass sie seine Gefangenschaft von ungewisser Dauer teilten. König Edward hatte sich trotz all der wichtigen Regierungsgeschäfte, die er jetzt wieder zu führen hatte, die Zeit genommen, die Regeln für Julians Verbleib im Tower genauestens festzulegen: Er sollte nicht in Ketten gelegt und seinem Stand gemäß und höflich behandelt werden, aber ohne ausdrückliche Erlaubnis des Königs durfte er niemanden sehen und sprechen außer den Wachen. Wer von seinem Gefolge darauf bestand, ihn aufzusuchen, musste bleiben. Offenbar fürchtete Edward, die verbliebenen Lancastrianer im Untergrund würden Julians Flucht planen, wenn sie Kontakt zu ihm aufnehmen könnten.
Obwohl sie wussten, was es bedeutete, waren Mortimer und Lucas wieder zu ihm gekommen, um ihm die Zeit zu vertreiben, seine Stellung zu wahren und ein Auge auf ihn zu haben. Es war ein gewaltiges Opfer, das sie für ihn erbracht hatten. Das galt insbesondere für Lucas, der seine Frau und seinen Sohn auf lange Zeit nicht wiedersehen würde und der darüber hinaus einen beinah kindlichen, abergläubischen Schrecken vor dem Tower of London empfand. Julian plagte ein schlechtes Gewissen, aber er hatte weder Lucas noch seinem Knappen Vorwürfe gemacht. Ihre Treue und Ergebenheit waren ihm ein echter Trost – von ihrer Gesellschaft ganz zu schweigen –, und er zeigte sich erkenntlich, indem er sich duldsam und gut aufgelegt gab und sich bemühte, sie das Ausmaß seiner Düsternis nicht sehen zu lassen.
»Woher weißt du, dass Oxford und der Erzbischof in Gefangenschaft sind?«, fragte er Lucas.
»Die Wachen sprachen darüber. Und Anabelle hatte es auch schon gehört. Na ja, du weißt ja, wie Nachrichten sich in London verbreiten. Aber sie hat nicht viel darüber gesagt – sie wollte so schnell wie möglich wieder verschwinden. Die Wachen machen ihr Angst, schätze ich. Sie haben den Korb durchsucht, als wär der Heilige Gral darin verborgen, und haben ihr mit finsteren Blicken geraten, keine Waffen oder Briefe reinzuschmuggeln. So was macht ihnen Spaß.«
»Hast du irgendetwas über Oxfords Frau gehört?«, wollte Julian wissen.
»Oxfords Frau?«, wiederholte Lucas verblüfft. »Was soll mit ihr sein?«
»Sie ist Margaret Neville, Lucas. Warwicks Schwester. Und nun ist ihr Mann in Gefangenschaft und enteignet. Ich schätze, sie braucht dringend Hilfe.«
»Lady Megan wird sich ihrer annehmen«, sagte Mortimer zuversichtlich. »Und König Edward wird sie gewähren lassen, da bin ich sicher, denn er schätzt sie sehr.«
»Woher weißt du das?«, fragte Lucas erstaunt.
»Von Richmond. Seine Mutter kümmert sich seit zehn Jahren um die Witwen und die Kinder gefallener oder hingerichteter Lancastrianer. Ich nehme nicht an, dass sie jetzt damit aufhört, oder?«
»Ihre Lage ist auch nicht gerade einfacher geworden«, gab Julian zu bedenken. »Ausgerechnet ihr Sohn ist jetzt der lancastrianische Thronanwärter. Ich bete, dass die Yorkisten nicht zur Abwechslung jetzt Megan als Geisel nehmen.«
»Nie im Leben.« Lucas winkte ab. »Jeder, der Hand an diese Frau legt, müsste befürchten, dass Gott Blitze auf ihn herniederschleudert. Jedenfalls ist es das, was alle glauben. Die Yorkisten werden sie in Ruhe lassen. Wenn du für jemanden beten willst, dann für ihren Jungen. Ich hoffe, Jasper hat ihn rechtzeitig aus Wales herausgeschafft.«
Julian nickte und sagte nichts, aber ihn plagten Zweifel. Wann immer er an seine Schwester und an Richmond dachte, wurde sein Herz bleischwer, und etwas wie glimmende Kohlen lag in seinem Bauch. Er
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