Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
ungerecht behandelt, scheint es.«
Mortimer schnaubte angewidert. »Sie können sich beide nicht beklagen. Gloucester hat doch zusätzlich noch halb Wales bekommen und Waringham obendrein. Und was Clarence betrifft: Wäre er mein Bruder, hätte ich ihn hier irgendwo in ein Verlies gesperrt und den Schlüssel in die Themse geworfen. Ich finde, er hat seinen Bruder und König einmal zu oft verraten.«
»Hm«, machte Lucas zustimmend. »Aber König Edward wird in dieser Beziehung niemals klüger und vergibt ihm immer wieder. Es ist geradezu rührend.« Julian hörte ihn näher kommen. Gleich neben seinem Lager verstummten die Schritte, und dann murmelte Lucas: »Wenn du wüsstest, wie du aussiehst, Waringham. Aber falls du glaubst, ich lasse zu, dass du dich hier zu Tode grämst, dann irrst du dich …«
»Wie so oft«, entgegnete Julian mit geschlossenen Augen. »Die Auflistung meiner folgenschweren Irrtümer würde Bücher füllen.«
»Mylord!«, rief Mortimer aus. »Ihr seid aufgewacht.«
»Wahrscheinlich schon vor Stunden«, mutmaßte Lucas. »Er belauscht uns heimlich, um sich auf unsere Kosten die Zeit zu vertreiben.«
»Leider eine höchst unzureichende Zerstreuung, wie alles im Tower.« Julian öffnete die Lider und setzte sich langsam auf. Alles, was er tat, musste er derzeit langsam tun. Er hatte so viel Blut verloren, dass ihm von der kleinsten Anstrengung schwarzvor Augen wurde. Aber wie Lucas ihm regelmäßig versicherte: Es hätte schlimmer kommen können.
Julian wusste, sein Ritter hatte Recht. Es hatte einen Moment gegeben dort unten in dem schaurigen Kellerloch, wo Exeters Tochter residierte, da Gloucester ihm gedroht hatte, zwei Wachen mit Knüppeln auf ihn loszulassen, die ihm die zum Zerreißen gespannten Glieder zerschmetterten. Julian hatte gehört, dass das üblich war, wenn die Streckbank allein nicht zu den gewünschten Ergebnissen führte. Und er war überzeugt gewesen, Gloucester werde seine Drohung wahr und einen Krüppel aus ihm machen. Aber irgendetwas hatte den grausamen jungen Herzog davon abgehalten – womöglich die Furcht vor dem Zorn seines königlichen Bruders.
Julian war geschwächt, aber das würde vergehen. Er war im Tower gefangen, aber in einem hellen, geräumigen Quartier unter dem Dach des Wakefield Tower, nicht länger in einem grausigen Kellerverlies – es hätte in der Tat schlimmer kommen können.
»Hier.« Lucas stellte einen ausladenden Weidenkorb auf den Tisch und breitete aus, was er mitgebracht hatte. »Wachteln, Schweinebauch, Erbsenpüree, Kalbsnieren, Hühnersuppe, Weißbrot, Erdbeeren«, zählte er auf. »Und das Beste von allem: Ein Krug burgundischer Rotwein. Ein großer Krug. Mit den besten Empfehlungen deiner ehemaligen Dienstmagd Anabelle, jetzt bekannt als die hochgeachtete Mistress Newton.«
Mortimer trat an den Tisch und schnupperte genießerisch. »Hm. Wir speisen feiner als der König, möcht ich wetten.«
Julian stand auf, folgte seinem Ritter und Knappen an den Tisch, setzte sich und nahm den Becher, den Mortimer ihm einschenkte. Dann sah er auf die reich gedeckte Tafel hinab. Anabelle musste ein Vermögen für dieses Festmahl ausgegeben haben, ganz zu schweigen von der stundenlangen Arbeit, die sie sich damit gemacht hatte. Obwohl Julian seinen Unterhalt im Tower doch mühelos selbst hätte bestreiten können, hatte er bislang keine Gelegenheit dazu bekommen. Anabelle war nicht die Einzige, die ihm und seinen beiden Gefährten Wein undSpeisen schickte. Seine Pächter und Nachbarn aus Farringdon und ein paar mutige lancastrianische Londoner Kaufherren oder Ritter sandten ebenfalls gute Gaben. Das beschämte Julian ein wenig, aber er wusste, sie alle meinten es gut. Sie wollten ihn wissen lassen, dass er nicht ganz allein und vergessen war. Und das wusste er zu schätzen.
»Anabelle lässt außerdem ausrichten, dass sie einen sicheren Platz für deine Frau und deine Kinder wüsste«, berichtete Lucas, füllte sich einen Teller und begann, das gute Essen in sich hineinzuschaufeln.
»Sie ist wahrhaftig eine treue Seele«, sagte Julian. »Aber da wir nicht wissen, wo Janet und die Kinder sind, können wir das Angebot kaum weiterleiten, nicht wahr?«
Lucas nickte.
»Lady Janet würde eher unter einer Brücke schlafen, als Anabelles Hilfe anzunehmen«, bemerkte Mortimer unerwartet. Es hörte nie auf, Julian zu verwundern, was dieser Junge alles sah, hörte und spürte, obwohl er doch meistens zerstreut wirkte, so als sei er in Gedanken noch
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