Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
Augenwinkel. Lucas war bleich und unrasiert. Er trank zu viel und war untypisch grantig. Allmählich begann diese selbst gewählte Gefangenschaft, an ihm zu zehren.
»Was belauerst du mich so verstohlen, Waringham?«, fragte er verdrossen.
Julian zog eine Braue in die Höhe und schüttelte den Kopf. »Wieso in aller Welt sollte ich das tun?«
»Komm schon. Raus damit.«
Julian unterdrückte ein Seufzen. »Ich habe dir nichts zu sagen, was du nicht selbst genau wüsstest, Lucas.«
Der Ritter brummte, richtete sich auf und stellte die Stiefel auf den Boden. Sie waren staubig. Trübsinnig sah er darauf hinab und nickte. »Ich lass mich gehen. Das ist es doch, was du meinst, oder? Du denkst, ich bin dem Jungen ein schlechtes Vorbild und euch beiden ein schlechter Gefährte.«
Das war in der Tat genau das, was Julian dachte. »Man kann wohl sagen, dass ich mich der gleichen Versäumnisse schuldig gemacht habe. Also habe ich kaum das Recht, dir etwas vorzuwerfen.«
»Ja, nur warst du halb tot. Diese wunderbare Entschuldigung habe ich leider nicht. Ich weiß nur, wenn wir nicht bald von hier verschwinden, werden sie mich mit den Füßen voraus aus dem Tower tragen.«
Julian nickte. Er ahnte, dass sein Ritter nicht übertrieb, und das bereitete ihm Sorgen.
Im gleichen Maß, wie seine Genesung fortgeschritten war, hatte Julian auch zu sich selbst zurückgefunden, und nun tat er wieder das, was seiner Natur entsprach: Er machte mit dem weiter, was ihm geblieben war. Und er schmiedete Pläne. Doch noch konnte er den ersten seiner Pläne nicht in die Tat umsetzen. Das stellte seine Geduld auf eine harte Probe, und Lucas’ bedenklicher Gemütszustand drängte ihn ebenso dazu, etwas zu unternehmen.
Es klopfte. Ohne erkennbare Hast ließ Julian sein Schnitzwerk zwischen den Kissen seines Sessels verschwinden und griff nach einem anderen, einem halb fertigen Tierfigürchen, das auf dem Tisch lag. »Nur herein«, rief er einladend.
Die Tür öffnete sich zögernd, und Vater Ambrose kam hereingehuscht. » Dominus vobiscum .«
Mortimer und Lucas wechselten einen Blick und verdrehten die Augen, erwiderten den Gruß aber ebenso höflich wie Julian: » Et cum spiritu tuo .«
Vater Ambrose war ein junger, nicht übermäßig gescheiter Priester, den man ihnen als seelischen Beistand zugeteilt hatte. Er war ein glühender Verehrer König Edwards und des Hauses York, darum nahmen sie an, dass er ihnen nicht nur die Messe lesen und die Beichte abnehmen sollte, sondern nebenbei ein wenig für seinen angebeteten König spionieren. Julian verübelte ihm das nicht. An Stelle der Yorkisten hätte er das Gleiche getan.
»Nun, Vater? Wir fingen schon an, zu befürchten, Ihr würdet uns heute versetzen«, sagte Julian. Es musste fast elf sein, und sonst kam der eifrige junge Geistliche meist kurz nach Sonnenaufgang.
Vater Ambrose errötete ein wenig. »Ich hoffe, Ihr könnt mir vergeben, Sir. Aber ich wurde unerwartet in den Palast des Bischofs bestellt.« Er bemühte sich vergeblich, seine Erregung ob dieses Umstandes zu verhehlen.
»Verstehe. Tja. Nun ist Sir Lucas halbwegs betrunken undkaum in der geeigneten Verfassung, den Leib des Herrn zu empfangen. Es sieht so aus, als sei unser Seelenheil Eurer Karriere zum Opfer gefallen. Zumindest für heute.«
Vater Ambrose machte große Augen. »Sir, wie könnt Ihr nur glauben … Ich würde niemals …«
»Er zieht Euch nur auf, Vater«, erklärte Mortimer und wahrte mit Mühe ein ernstes Gesicht. Die Einfältigkeit dieses Priesters hörte nie auf, ihn zu amüsieren. »Ich jedenfalls habe noch nichts zu mir genommen und würde gerne die Messe hören.«
»Gewiss, mein Sohn, gleich«, versprach Vater Ambrose fahrig. »Aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich heute zu Euch gekommen bin.« Er sah zu Julian. Hektische rote Flecken brannten auf seinen Wangen, und ein eigentümlicher Glanz lag in seinen Augen. Julian kannte diese Symptome, und darum war er nicht sonderlich überrascht, als der Priester erklärte: »Nicht der Bischof hat mich zu sich bestellt, sondern einer seiner höchst geschätzten Gäste.«
»Lady Megan Beaufort«, tippte Julian.
Das brachte Ambrose aus dem Konzept. Seine Augen wurden noch ein wenig runder. »Woher wusstet Ihr das?«, fragte er, ebenso argwöhnisch wie enttäuscht.
Weil sie der einzige Mensch ist, den ich kenne, der Kerle wie dich glauben macht, die Heilige Jungfrau sei ihnen erschienen, hätte Julian sagen können, aber er hielt seine lose Zunge
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