Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
im Zaum. »Geraten.«
»Sie …« Ambrose öffnete den Beutel, den er über der Schulter trug, und holte einen etwas eselsohrigen, gefalteten Pergamentbogen hervor, den er Julian entgegenstreckte wie eine kostbare Reliquie. »Sie hat mich gebeten, Euch diese Nachricht zu überbringen.«
Julian nahm den Brief nicht sofort, obwohl er darauf brannte, ihn zu lesen. So viel hing davon ab. Für ihn selbst und für alle, die ihm teuer waren. Es fiel ihm nicht leicht, sich zu beherrschen. »Und Ihr habt ihren Brief getreulich Lord Hastings oder dem Constable des Tower übergeben, nehme ich an?«
Vater Ambrose schüttelte den Kopf und sah ihm offen, geradezu treuherzig in die Augen. »Das hätte ich eigentlich tun müssen. Ich darf Euch keine Nachrichten überbringen, weder schriftlich noch mündlich. Aber die Wünsche dieser frommen Dame …«
»… kann man schwer abschlagen, ich weiß«, vollendete Julian den Satz für ihn.
Ambrose senkte verlegen den Blick und nickte. »Vor allem nicht, wenn sie so unglücklich ist, Sir.«
Julian spürte sein Gesicht kalt werden, und plötzlich hatte er eine Gänsehaut auf Armen und Beinen. Seine Hände krampften sich um die Sessellehnen. »Unglücklich?«, fragte er und staunte, wie gemessen es klang. »Hat sie schlechte Nachrichten über ihren Sohn bekommen?«
»Ja, habt Ihr es denn nicht gehört, Sir?«
Julian fand das Atmen mühsam. Raus damit, du hässliche kleine Krähe, dachte er. Wenn du mich noch einen Atemzug länger zappeln lässt, dreh ich dir den mageren Hals um. »Wir hören hier nichts, was Ihr uns nicht mitteilt, Vater. Also, wäret Ihr wohl so gut, mir zu sagen, warum meine Cousine unglücklich ist?«
»Sie ist Eure Cousine?«, fragte Ambrose verdattert.
Plötzlich schoss Julian aus dem Sessel hoch. »Wird’s bald, Pfaffe?«
Ambrose wankte erschrocken einen Schritt zurück. »Es ist Ihr Gemahl, Sir. Er ist gestorben. Letzte Woche schon.«
So viele widerstreitende Empfindungen stürzten auf Julian ein, dass ihm beinah schwindelig davon wurde. Mitgefühl für Megan, die mit Mitte zwanzig bereits zum zweiten Mal verwitwet war. Scham, weil das Ableben ihres Gemahls ihn selbst völlig kalt ließ. Vor allem jedoch Erleichterung, dass es nicht Richmond war, um den sie trauern musste.
Julian sank ein wenig matt in seinen Sessel zurück. »Vergebt mir, Vater Ambrose«, murmelte er.
»Natürlich«, antwortete der junge Priester frostig. Er war eingeschnappt. Vielleicht bereute er schon, dass er sich als Botehatte missbrauchen lassen, und ganz gewiss würde er Julian nicht die gleiche Gefälligkeit erweisen wie Megan.
»Habt Dank für die Güte und Barmherzigkeit, die Ihr einer trauernden Witwe habt angedeihen lassen. Gott segne Euch dafür, Vater. Aber wenn Ihr mich jetzt entschuldigen wollt …«
»Ihr wollt nicht die Messe hören und für die arme Seele Eures verstorbenen Cousins beten? Oder beichten, dass Ihr um ein Haar Hand an einen Gottesmann gelegt hättet?«, fügte er hinzu. Die Andeutung einer Drohung schwang in seiner Stimme.
Julian verabscheute Priester, die keinen Funken Rückgrat hatten und sich hinter der Autorität der Kirche versteckten wie ein Feigling in der Schlacht hinter einem Baum. »Später vielleicht«, antwortete er kurz angebunden. »Falls es mir hinreichend leid tut.«
Endgültig beleidigt, schritt Vater Ambrose hoch erhobenen Hauptes hinaus.
»Hast du gesehen, Mortimer?«, fragte Lucas. »Das war eine wirklich eindrucksvolle Lektion in der Disziplin, wie man sich Freunde schafft.«
Julian hörte nicht hin. Er hatte das ungekennzeichnete Siegel kurz untersucht und festgestellt, dass es nicht erbrochen und dann wieder geflickt worden war. Aber er hätte sich nicht zu sorgen brauchen, denn Megan war kein Risiko eingegangen.
Liebster Cousin , hatte sie geschrieben. Selten war mein Herz so leicht und so schwer zugleich. Gott hat in seiner unendlichen Weisheit beschlossen, mir den zu nehmen, der mir der Zweitliebste auf Erden war, und mich am selben Tage aus der quälenden Sorge um denjenigen, der mir der Liebste auf der Welt ist, zu erlösen. Sie sind in Sicherheit. Das Wetter hat sie ins Land der Lais abgetrieben, aber dort haben sie mächtigen Schutz gefunden. Ich ziehe mich vorerst dorthin zurück, wo du früher so gern Tennis spieltest. Leb wohl und Gott schütze dich. M. Julian ließ den Brief sinken und bekreuzigte sich mit der freien Rechten. Dann sah er in die beiden Gesichter, die ihm so voller Anspannung zugewandt waren.
Er
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