Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
er hätte sich ihr gern mit aller Kraft gewidmet. »Ich werde nicht gefragt, ob ich will oder nicht«, erklärte er dem Knecht. »Aber in ein paar Wochen heiratet mein Dienstherr meine Cousine. Ich glaube kaum, dass ich mich drücken kann.«
Windsor, August 1455
»Henri, mon très
cher mari« , sagte die Königin. »Erlaubt mir, nach Euren Kammerdienern zu schicken. Sie sollen Euch behilflich sein, andere Gewänder anzulegen.« Sie sprach sanft, wie zu einem geliebten, aber ungebärdigen Kind.
Der König winkte ungehalten ab. »Nichts da, Marguerite.«
»Aber es ist nicht recht, dass der König so unfestlich gekleidet vor seinen Hof tritt«, gab sie zu bedenken.
Unfestlich ist noch sehr gelinde ausgedrückt, fuhr es Blanche durch den Kopf. Sie hatte mit Megan über einer Partie Schach gesessen, aber natürlich hatten sie ihr Spiel unterbrochen, als der König die Gemächer seiner Gemahlin betreten hatte. Nur bot er eine so unkönigliche Erscheinung in seinem ausgebeulten Surkot aus schlichter brauner Wolle, dessen Brust statt Perlen- oder Goldstickereien Kleckerspuren des Frühstücks aufwies, dass Blanche sich eigentümlich erniedrigt fühlte, vor ihm das Knie zu beugen.
Mit einem milden Lächeln streckte er den beiden jungen Damen die Hände entgegen. »Erhebt Euch, Mesdames. Nun, Megan? Wirst du allmählich aufgeregt drei Tage vor deiner Hochzeit?«
Blanche war verblüfft, dass er das Datum offenbar so genau im Kopf hatte, schien er doch sonst meist nicht zu wissen, ob am nächsten Tag Ostern oder Weihnachten war.
»Ich tue kaum mehr ein Auge zu, Sire«, gestand Megan. »Ich bete um den Beistand des heiligen Nikolaus und der Heiligen Muttergottes, deren Himmelfahrt wir heute begehen, dass alles gut geht, ich nicht über den Saum meines Kleides stolpere oder beim Eheversprechen zu stammeln anfange.«
Er nickte zerstreut, schien kaum gehört zu haben, was sie sagte, und es war Blanche, die er anschaute. Für einen Lidschlag ruhte sein Blick auf ihrem Dekolleté und glitt dann zur Seite. »Ihr solltet Euch schämen, mein Kind, wahrlich und wahrlich.«
Blanche spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Unwillkürlichschaute sie an sich hinab, aber sie fand nichts, das seinen Tadel rechtfertigte. Sie trug ein moosgrünes Kleid, das nach der neuesten Mode gearbeitet war. Es war das beste, welches sie besaß, und sie liebte es besonders, weil es das letzte Geschenk war, das sie von ihrem Vater bekommen hatte. Die Farbe betonte den Glanz ihrer beinah schwarzen Locken und die dunklen Augen. Der Ausschnitt war viereckig, erlaubte einen großzügigen Blick auf ihren weißen Schwanenhals und die Schultern, doch ihr Busen, stellte sie erleichtert fest, war züchtig bedeckt und nur der Ansatz sichtbar.
»Sire … Ich verstehe nicht, was Ihr meint.«
»Wirklich nicht? Denkt Ihr, das sei ein angemessener Aufzug für den heutigen Tag?«
Blanche biss sich beinah die Zunge blutig, so groß war ihre Mühe, nicht zu erwidern, dass man den König mit Fug und Recht das Gleiche fragen könne.
Marguerite errettete sie aus ihrer misslichen Lage. Sie kam vom Fenster herüber und legte dem König eine beschwichtigende Hand auf den Arm. »Es ist so gut von Euch, dass Ihr mit fürsorglicher Strenge versucht, Lady Blanche den Vater zu ersetzen, der so grausam aus unserer Mitte gerissen wurde. Aber sie ist jung, Sire, und trägt nur, was alle jungen Damen heutzutage tragen.«
»Es ist eine Schande«, beharrte er. Der Tonfall war beinah quengelig.
Blanche verdrehte hinter seinem Rücken die Augen und handelte sich von Megan einen vorwurfsvollen Blick ein.
»Ich bin überzeugt, Lady Blanche wird zum Kirchgang ein Tuch um die Schultern legen, wenn es Euer Wunsch ist«, fuhr die Königin fort. »Ich hätte eines, das hervorragend zu ihrem hübschen Kleid passt. Ich könnte es ihr leihen.«
Henry nickte. »Seid so gut.«
»Dann werdet Ihr mir im Gegenzug aber gewiss auch eine Gefälligkeit bezüglich Eurer Festtagsgarderobe erweisen?«
»Madame?«
Nicht zum ersten Mal, seit sie an den Hof gekommen war,fragte sich Blanche, ob der König wirklich nicht verstand, was Marguerite ihm sagte, oder ob er ihr seine Begriffsstutzigkeit nur vorspielte. Sie kam nie zu einem befriedigenden Ergebnis. Es gab Tage, da der König so verwirrt war, dass er sich nur mit Mühe der Namen seiner engsten Vertrauten zu erinnern schien. Es gab Tage, da man ihn überhaupt nicht zu sehen bekam und über seinen Geisteszustand nur spekulieren konnte.
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