Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
enteignet und zum Tode verurteilt worden war, hatte der kleine Edward dessen Titel nicht erben können, wohl aber den seines Großvaters, und deswegen war er der Earl of Warwick. Armes Bübchen, dachte Julian flüchtig. Was für ein Leben mochte er führen? Die Mutter gestorben, der Vater ein so hinterhältiger und widerwärtiger Schurke, dass man ihm nicht einmal die Ehre erwiesen hatte, ihn auf dem Tower Hill zu enthaupten, sondern auf Geheiß des Königs in einem Weinfass ersäuft hatte. Julian zeigte mit dem Finger auf ihn. »Lebt er hier?«
Owen folgte seinem Blick und schüttelte dann den Kopf. »Gloucester und Lady Anne haben ihn zu sich genommen. Er soll mit seinem Cousin zusammen aufwachsen. Siehst du? Da ist sie.«
Anne Neville kam in Begleitung einer zweiten Dame über die Wiese in ihr Blickfeld geschlendert. Es stimmte, was Roland Julian erzählt hatte: Anne war blass, wirkte gar ein wenig matt, und es sah aus, als stütze sie sich auf ihre Begleiterin, bei der sie sich eingehakt hatte. Doch als ihr Blick auf die spielenden Jungen fiel, lächelte sie.
»Ist sie krank?«, fragte Julian.
Owen hob leicht die Schultern. »Niemand weiß es. Weihnachten ist sie während der Mette hier in der Kirche ohnmächtig geworden. Der ehrwürdige Abt hat ihr die Dienste unserer Ärzte angeboten, aber sie wollte nichts davon hören.«
»Es gibt viele Frauen, denen vom Weihrauch schwach wird«,erwiderte Julian. Er musste feststellen, dass er aus ganzem Herzen wünschte, das sei der Grund für ihre Ohnmacht gewesen. Obwohl sie seinen Todfeind geheiratet hatte – und das freiwillig –, wollte er, dass Anne Neville gesund und glücklich war.
»Wenn Gloucester wirklich das vorhat, was du glaubst, wird er sie zwingen, sich untersuchen zu lassen«, mutmaßte Owen. »Denn dann braucht er sie an seiner Seite, nicht wahr?«
»Und wie ihrem Vater das gefallen hätte«, murmelte Julian.
Nach drei Tagen war er des Wartens überdrüssig, und er erstürmte das Haus des Abtes, welches Königin Elizabeth mit ihren Kindern bewohnte, unter Missachtung jeder Etikette.
»Madam, ich weiß, dass Ihr mich nicht sehen wollt, aber es ist wichtig und duldet keinen weiteren Aufschub«, sagte er, während er über die Schwelle trat.
Die verwitwete Königin befand sich im Jerusalem-Zimmer, einem prunkvoll eingerichteten Gemach mit reich geschnitzten Deckenbalken und herrlichen Teppichen an den Wänden, die das Heilige Land zeigten und dem Raum seinen Namen gegeben hatten. Elizabeth saß in einem Sessel am kalten Kamin, und sie war nicht allein. An ihrer Seite kauerte auf einem Schemel ihre älteste Tochter, die den Namen ihrer Mutter trug, und in einem zweiten, brokatgepolsterten Sessel der Königin gegenüber saß der Erzbischof von Canterbury.
Wie üblich verweigerte Julian der Königin den Kniefall, nicht aber dem Bischof, der ihm lächelnd den Ring hinhielt. Julian nahm die Hand behutsam mit zwei Fingern. Bourchier war ein uralter Mann geworden, und auch wenn seine Augen verrieten, dass er nichts von seiner Schläue und seinem messerscharfen Verstand eingebüßt hatte, wirkte er doch so zerbrechlich wie ein Elfenbeinfigürchen. »Waringham, mein junger Freund!«, rief er erfreut aus.
Julian musste schmunzeln. »So hat mich lange niemand genannt, Eminenz.«
Der Erzbischof kicherte. »Das ist das Privileg meines nahezubiblischen Alters. Wie ich höre, schließen die Novizen hier schon Wetten darauf ab, ob ich die Papageien überlebe.«
»Das würde mich nicht wundern«, gab Julian amüsiert zurück.
Er hatte Bourchier immer gemocht. Der Erzbischof hatte in all den Jahren des Krieges eine Neutralität gewahrt, die nichts mit Feigheit, sondern mit Weisheit, Umsicht und christlicher Barmherzigkeit zu tun hatte. Mehr als einmal hatte Julian ihn sagen hören, dass sowohl Yorkisten als auch Lancastrianer Kinder Gottes seien, die beide gleichermaßen seines Beistandes bedürften, weil sie den unheilvollen Weg eines Bruderkrieges beschritten hatten. Wer in diesem Krieg obsiegte – oder auch nur die Nase vorn hatte –, hatte er immer Gott überlassen und yorkistische wie lancastrianische Könige mit der gleichen Feierlichkeit und Hingabe gekrönt.
»Was mag so dringend sein, dass ihr meine Wünsche missachtet und meine Unterredung mit seiner Eminenz stört, Waringham?«, fragte die Königin frostig.
»Ich dachte, es interessiert Euch vielleicht, zu erfahren, dass der Duke of Gloucester beabsichtigt, Euren Sohn zu verdrängen und sich
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