Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
Bruder und ihren Sohn in Pontefract gefangen. Ihren Sohn aus erster Ehe, meine ich, meinen Halbbruder Sir Richard Grey. Gloucester hat die Familie meiner Mutter immer gehasst, wisst Ihr.«
»Ja, ich weiß.«
»Ihr Leben hängt am seidenen Faden, würdet Ihr nicht auch sagen? Also, wenn Gloucester meiner Mutter einen Reifen vorhält und sagt ›spring‹, dann muss sie springen.« Sie sagte es nüchtern.
»Diese furchtbare Zwangslage Eurer Mutter scheint Euch nicht besonders nahezugehen, wenn Ihr die Bemerkung verzeihen wollt, Lady Elizabeth.«
»Sie ist äußerst respektlos, Eure Bemerkung, aber ich verzeihe Euch trotzdem. Nein, Ihr habt Recht. Meine Mutter und ich sind nicht die besten Freundinnen. Sie hat jahrelang auf meinem Vater herumgehackt und ihn angeschrien. Wegen seiner … Ihr wisst schon. Mir war das egal. Ich konnte ihn verstehen. Ich hätte meine Zeit auch lieber mit lebenslustigen, wenn auch leichtfertigen Frauen verbracht als mit einer verbitterten Furie wie meiner Mutter.«
»Offene Worte«, murmelte er anerkennend. »Ich könnte mir vorstellen, dass Euer Vater diese Eigenschaft sehr an Euch geschätzt hat.«
Tränen traten ihr in die Augen und rannen dann ihre Wangen hinab, aber Elizabeth sah ihn unverwandt an. »Ich war sein Ein und Alles«, antwortete sie erstickt. »Es ist ungerecht, ich weiß, aber es war so. Keinen meiner Brüder und keine meiner Schwestern hat er so geliebt wie mich. Ich war sein Augenstern. Und er war für mich wie die Sonne. Und jetzt, da er tot ist, ist nur noch Dunkelheit.«
Julian war stehen geblieben. Sie hatten sich weiter von allen Klostergebäuden und Menschen entfernt, als eigentlich schicklich war, und das nutzte er schamlos aus, um Elizabeths Hand zu ergreifen. Er sagte nichts. Er hatte das Gefühl, er sei nicht der Richtige, um ihr Trost zu spenden, denn auch wenn es dieWahrheit war, dass er ihren Vater geschätzt hatte, so waren sie ja dennoch Feinde gewesen, gelegentlich sogar erbitterte Feinde. Und wozu sollte er ihr sagen, dass der Schmerz irgendwann nachließ? Was hätte ihr das jetzt genützt?
Die Prinzessin fasste sich rasch wieder. Nach einigen Augenblicken befreite sie ihre Hand, zog ein durchschimmerndes Seidentüchlein aus dem goldbestickten Ärmel ihres blauen Kleides und trocknete ihre Tränen. »Habt Dank für Eure Freundlichkeit, Mylord, und für Eure Sorge um meine Brüder. Aber ich glaube, der Erzbischof hat Recht, wisst Ihr. Mein Onkel Gloucester mag ein harter, ehrgeiziger Mann sein, aber er würde meinen Brüdern kein Haar krümmen.«
»Wieso seid Ihr so sicher?«, fragte Julian verständnislos. »Wie kann es sein, dass er Lord Hastings einfach so hinrichten lassen kann – den engsten Vertrauten Eures Vaters –, ohne dass Euer Misstrauen geweckt wird?«
Elizabeth wandte den Blick zum Fluss und dachte einen Moment nach. Dann antwortete sie: »Weil mein Vater seinem Bruder Gloucester blind vertraut hat. Bedingungslos, Mylord. Und ich kann einfach nicht glauben, dass er sich so in ihm geirrt haben soll. Denn mein Vater hat sich nie geirrt.«
»Er hat sich Tausende Male geirrt«, widersprach Julian. »Und seine größte Schwäche bestand darin, dass er sein Vertrauen gar zu leicht verschenkte. Sogar an Männer wie mich, an seine Feinde. An Warwick. An Clarence. Er war ein guter Mann, aber ein miserabler Menschenkenner, Lady Elizabeth.«
Erwartungsgemäß wurde ihre Miene verschlossen. »Ich verlasse mich dennoch lieber auf sein Urteil als auf das Eure«, erklärte sie trotzig. »Denkt nicht, ich wüsste nicht, in wessen Interesse Ihr in Wahrheit handelt. Zwietracht unter uns kann dem lancastrianischen Prätendenten in der Bretagne ja nur recht sein, nicht wahr?«
Julian hatte natürlich gewusst, dass dieser Verdacht ihm irgendwann entgegengeschleudert werden würde. Er hatte sich schon gewundert, wo er blieb. »Es stimmt, dass seine Interessen auch die meinen sind, Mylady. Aber ich habe vor langer Zeitgelernt, dass ein Sieg nicht jeden Preis wert ist. Ich wünschte, Ihr würdet mir glauben, dass ich hergekommen bin, weil ich das Wohlergehen Eures Bruders … Eurer Brüder im Sinn habe. Ebenso wie das Eure.«
Elizabeth erwiderte seinen Blick, ihre Miene drückte Unentschlossenheit aus. »Und ich wünschte, ich würde Euch nicht glauben, Mylord«, gestand sie.
Doch ganz gleich, welche Schlüsse die Prinzessin aus ihrer Unterredung zog, es war zu spät. Als sie zu ihrer Mutter ins Haus des ehrwürdigen Abtes zurückkehrte, war der
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