Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
überlegte, ob Devereux oder Herbert wohl niederträchtig genug wären, um sie zu vergiften, doch fiel ihm kein vernünftiger Grund ein, warum sie so etwas tun sollten.
Schließlich hörte er den Deckel des Eimers. Drei, vier langsame Schritte. Das Knarren des Holzschemels. Dann Stille.
Julian setzte sich auf. »Alles in Ordnung?«
Er bekam keine Antwort.
Er schälte sich aus der Decke und kam auf die Füße. »Edmund?«
Im Schein der Fackel, die in einem Ring neben der Tür steckte, sah er Edmund Tudor mit nacktem Oberkörper zurückgelehnt vor dem Tisch sitzen, die Ellbogen auf die Platte gestützt. Er wirkte vollkommen entspannt, aber Schweiß glänzte auf seinem Gesicht und der Brust, und die dunklen Augen hatten einen unnatürlichen Glanz.
»Du hast Fieber«, mutmaßte Julian.
Edmund nickte. Er sah Julian unverwandt in die Augen – es war ein merkwürdiger Blick, unmöglich zu deuten. Dann hob er den rechten Arm und legte die Hand in den Nacken. Eine Beulevon der Größe einer Kinderfaust hatte sich in der Achselhöhle gebildet, und im schwachen Licht wirkte sie schwärzlich.
Julian fühlte ein Durchsacken in der Magengegend, so als sei er plötzlich ins Leere getreten. Er sah Edmund wieder ins Gesicht und fand nichts zu sagen. Er verspürte Angst um sein eigenes Leben, aber im ersten Moment war es vor allem der Schmerz, der ihn zu überwältigen drohte. Er würde diesen Freund verlieren. Edmund Tudor war ein toter Mann.
»Tja«, sagte der und ließ den Arm sinken. »Sie macht einen sprachlos, die Pest, nicht wahr?«
Julian räusperte sich mühsam und nickte.
»Was ist mit dir?«
Julian brauchte nicht nachzuschauen. Er wusste, dass man das Brennen der Beulen fühlte, noch ehe man sie sehen konnte. »Noch nichts.«
Edmund rieb sich mit dem muskulösen Unterarm über die Stirn. »Vielleicht verschont sie dich.«
Und vielleicht auch nicht, fuhr es Julian durch den Kopf. Gewiss, die Pest war nicht mehr so wie vor hundert Jahren, als sie wie ein Sturm über das Land hereingebrochen war und binnen weniger Tage ganze Städte entvölkert hatte. Heutzutage suchte sie sich ihre Opfer einzeln aus, holte mal hier, mal dort eines und verschwand so lautlos, wie sie sich angeschlichen hatte. Doch wusste jedermann, dass die Ansteckungsgefahr bei dieser tückischen, widerwärtigen Krankheit sehr hoch war.
»Wann hast du’s gemerkt?«, fragte Julian. Als ob es eine Rolle spielte.
»Dass ich krank werde, am späten Nachmittag. Dass ich sterbe und woran, vor ungefähr zwei Stunden.« Er klang gefasst, aber das war er nicht. Julian kannte Edmund Tudor gut. Er sah das Grauen und den Zorn in dessen fiebrigen schwarzen Augen, aber er wusste, Tudor würde sich vor ihm nicht gehen lassen, solange er noch Herr seiner Sinne war. »Ich weiß nicht, wie es morgen früh um mich steht, wenn die Wachen kommen, Julian, aber du sorgst dafür, dass sie einen Priester holen, nicht wahr?« Die Arme begannen zu zittern. Manchen ihrer Auserwähltenbescherte die Pest Muskelkrämpfe, und offenbar gehörte Edmund dazu.
»Natürlich. Ich kümmere mich um alles.« Julian rang einen Moment mit sich, dann machte er einen Schritt auf ihn zu und nahm behutsam seinen Ellbogen. »Komm. Besser, du legst dich hin.«
Edmund stieß ihn weg. »Fass mich nicht an, du verfluchter Narr, denk an …«
»Edmund, ich schlage vor, du hörst jetzt auf zu fluchen«, fiel Julian ihm ins Wort. Er war selbst verwundert, wie souverän und streng er klang, war ihm in Wahrheit doch danach, sich in einer Ecke zusammenzurollen und zu heulen. Er zog den Kranken auf die Füße und führte ihn zu seinem Lager im Stroh. »Besinn dich auf Gott, denn wir sind alle in seiner Hand, ich genauso wie du.« Sie hausten hier so dicht aufeinander wie Finger und Handschuh, ohne jede Möglichkeit, auf Distanz zu gehen. Julian wusste, nur ein Wunder konnte verhindern, dass er sich ansteckte, und dabei spielte es gewiss keine Rolle, ob er Edmund anfasste oder nicht. »Hier, leg dich hin.«
Halb fiel, halb legte Edmund sich ins Stroh, rollte sich auf die Seite und lag still. Die Krämpfe hielten immer noch an. Sein Gesicht verzerrte sich, und er atmete stoßweise. Bis sie schließlich abebbten. Julian sah, wie der Körper des Kranken sich ein wenig entspannte.
»Du hast Recht, Julian. Wir sind in Gottes Hand, und mir bleibt nur, mich seiner Gnade zu empfehlen. Aber es fällt mir … schwer. Ich würde ihm lieber das Dach über dem Kopf anzünden, wenn ich könnte.«
»Schsch,
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