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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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ihn steht. Er hat sogar schon versucht, abzudanken und den Kardinal Giovanni di San Paolo als seinen Nachfolger einzusetzen, aber das Kardinalskollegium hat seine Zustimmung verweigert. Wenn er stirbt, werden sie ganz gewiss nicht den Kardinal wählen, da sind sich die Römer sicher. Aber bis es so weit ist, ruhen in Rom alle Entscheidungen. Jeder der anderen Kardinäle versucht, sich selbst in den Vordergrund zu rücken und Stimmen für die Wahl zu gewinnen.«
    »Das ist gut«, sagte Stefan erleichtert. Judith schluckte eine Frage hinunter, die sie sich selbst beantwortete: Wenn in Rom alles mit dem sterbenden Papst und der baldigen Wahl eines neuen beschäftigt war, dann hatte dort bestimmt niemand die Zeit und die Autorität, sich um andere Ereignisse zu kümmern.
    »Onkel«, sagte sie langsam auf Deutsch, »der Kaiser hat einen Sohn, der gewählter deutscher König ist.«
    »Es gibt ein Kind in Apulien, das hierzulande niemand gesehen hat und das noch nicht in Aachen gesalbt und gekrönt wurde«, gab er zurück, »ganz zu schweigen davon, dass ihm auch die wichtigste Stimme unter den kirchlichen Würdenträgern des Reiches fehlt.« Er fiel erneut in die Volgare und wandte sich an den Boten. »Weiß man, wie es um die Kaiserin Konstanze steht? Wird sie ihren Sohn Herzog Philipp übergeben, wenn er sich zu ihr in das Königreich Sizilien durchschlagen kann?«
    Guy oder Gilles hustete und bekam noch etwas Apfelmost. »Die Kaiserin hat bereits Order gegeben, sämtliche deutschen Ritter aus Sizilien fortzuschicken, aber auf dem Weg bin ich von keinem dieser Ritter überholt worden. Es geht ihnen allen wie Philipp. Das Land steht in Flammen, und sie sitzen fest. Ein paar wollen es auch darauf ankommen lassen und bleiben, Schweinspeunt zum Beispiel, oder Anweiler. Sie glauben nicht, dass die Kaiserin Bewaffnete gegen sie einsetzt, woher soll sie die auch nehmen?«
    Stefan schloss die Augen und murmelte etwas auf Hebräisch, das Judith als Dankgebet aus ihrer Kindheit erkannte: Der Mächtige, unser Gott, ist ewig.
    Vorsichtig deckte sie den Boten mit seinem leinenen Unterrock zu. »Wenn das alles ist, was du von Guy wissen wolltest, Onkel, dann solltest du ihn jetzt ruhen lassen«, sagte Judith.
    »Gilles. Ich heiße Gilles«, warf der Bote ein, der entweder genügend Deutsch verstand oder den Klang seines Namens richtig gedeutet hatte, auf Französisch ein. Er musterte sie und fügte in der Volgare hinzu: »Ihr wollt mich nicht weiter waschen? Ich dachte schon, ich sei im Paradies angekommen.«
    »Nichte, auf ein Wort«, sagte Stefan, half ihr, sich aus ihrer knienden Haltung zu erheben, und führte sie in den Wohnraum, wo seine Gemahlin stickte. »In ein paar Wochen wird ganz Köln von diesen Neuigkeiten sprechen«, sagte er mit gesenkter Stimme, »doch es ist wichtig, dass dies jetzt noch nicht geschieht. Jede gewonnene Stunde kann entscheidend sein.«
    Sie verzichtete darauf, ihn an den Eid zu erinnern, den sie in Salerno geschworen hatte und der ihr verbot, Geheimnisse ihrer Patienten zu verraten. »Du warst nicht überrascht vom Tod des Kaisers.«
    »Wir hatten bereits einen Boten, der uns sagte, dass im Lager der Kreuzfahrer bei Messina eine Seuche ausgebrochen sei«, sagte ihr Onkel, »Constantin, Gerhard, Meister Lambert und ich. Vergiss nicht, dass Gerhard auch Zollmeister von Köln ist. Ihn erreichen Gerüchte wie dieses immer als Ersten.«
    »Und du hast darauf gehofft, dass so etwas geschieht. Schon deswegen war es dir so wichtig, dass sich Erzbischof Adolf nicht durch einen Eid bindet.«
    »Es war eine Möglichkeit von dem Moment an, als der Kaiser gewillt war, den Kreuzzug Wirklichkeit werden zu lassen«, gab Stefan zurück. »Wir alle wissen, was mit seinem Vater im Heiligen Land geschehen ist. Aber Gewissheit hatte ich bis heute nicht.«
    Sie wollte ihm glauben. Er war anders als ihr Vater, anders auch als das, woran sie sich vom Wesen ihrer Mutter erinnerte. Sie hatte begonnen, ihn gernzuhaben, ihn und die Familie, mit der sie das Dach teilte, wenn auch nicht das Bekenntnis. Auf ihrem Vater hatte immer eine gewisse Traurigkeit geruht, eine Bereitschaft, vom Leben das Schlimmste anzunehmen, auch wenn er auf das Beste hoffte. Stefan dagegen schien gewillt zu sein, das Schlimmste anzunehmen und dann das Leben zu überlisten, damit er es zu seinem Besseren machen konnte. Sie war sich nur noch nicht sicher, bis zu welchem Ausmaß Stefan dafür bereit war, in das Leben anderer einzugreifen.
    Dann wieder

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