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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Teil seiner selbst war auch belustigt. Schließlich war es nicht so, dass ihm Philipp bisher irgendwelche Versprechungen gemacht hätte, und wenn man mit Fürsten einen Handel einging, dann musste man wohl Geiseln nehmen, um Geld zu sehen, statt nur auf Ehre und Großzügigkeit zu vertrauen.
    Im gewissen Sinn waren Philipps Worte eine Herausforderung. Einmal einen Haufen halbtrunkener edler Herren von etwas überzeugt zu haben, das ihnen selbst nützte, das war nichts. Es galt, zu zeigen, dass diese Leistung kein Zufall gewesen war und dass Walther dies auch für Gönner tun konnte, die sich schneller großzügig zeigten als Philipp von Schwaben. Jeder Bauer, der sein Gemüse auf dem Markt verkauft, weiß, dass man bessere Preise herausschlägt, wenn es mehr als einen Käufer gibt, doch er hatte mal wieder versucht, schlauer zu sein als diese mit den Erfahrungen von Generationen.
    »Ganz recht, Euer Gnaden«, sagte Walther. »Das Glück eines Vogels ist es, überall sein Nest finden zu können. Wo es ihm denn am heimeligsten wird, das weiß Gott allein, aber«, und er wiederholte den Satz, den Philipp ihm selbst gesagt hatte, als er ihn zum ersten Mal empfing, »einen Versuch ist es wert.«

III. Wahl
    1197–1198
    Kapitel 15
    D er Mann, den Stefan in sein Haus brachte, war völlig entkräftet. Er keuchte, als stünde er kurz davor, zu ersticken. Zu behaupten, die Säfte seines Körpers seien im mangelnden Gleichgewicht, wäre die Untertreibung des Jahres gewesen. Ihm fehlte offenkundig Wasser, er konnte auch lange nicht mehr geschlafen haben. Sein Bart und Haupthaar war ungeschnitten, sein Überkleid völlig verdreckt und die Beinlinge angerissen, so dass Judith die aufgeschürfte Haut an den Knien sehen konnte. Dazu waren die Adern an Hals und Stirn so herausgetrieben, dass sie im nächsten Moment einen Anfall befürchtete.
    »Um Gottes willen«, sagte sie, »leg ihn sofort hin und lass mich seine Füße hochlagern.«
    »Er kommt direkt aus Italien«, sagte ihr Onkel, »und er darf auf gar keinen Fall sterben.«
    Stefan hatte ihr eine Seitenkammer neben dem großen Wohnraum für die Familie zur Verfügung gestellt, um ihre Instrumente und Salben dort unterzubringen und Patienten zu untersuchen. Es war nicht ihre Schlafstätte – sie teilte sich ein Bett mit seiner Tochter –, aber es war ihr Reich, in dem sie sich aufhielt, wenn sie nicht unterwegs war, um Besuche zu machen oder ihre Kräutervorräte zu ergänzen.
    Sie bat ihren Onkel, Wasser zu holen, schob eine Decke unter den Kopf des Mannes und legte seine Füße auf die kleine Truhe, in der ihres Vaters Messer und Spiegel ruhten. Dabei fiel ihr auf, dass seine Stiefel zwar ebenfalls dreckig, doch von gutem, festem Leder waren. Was auch immer für diesen Zustand verantwortlich war, Armut oder gar ein Entkommen aus langer Gefangenschaft konnte es nicht sein.
    Seinen Überrock wurde sie schnell los, doch der langärmlige Unterrock war so fest um seinen Körper gewickelt, dass es nicht so einfach war, ihn auszuziehen, um Luft an ihn heranzulassen. Als das Wasser kam, begann sie, ihn mit feuchten Wickeln zu reinigen, während sie Stefan bat, dem Mann vorsichtig und mit kleinen Schlucken Apfelmost einzuflößen.
    »Wie lautet sein Name?«
    Ihr Onkel schüttelte ungeduldig den Kopf. »Guy oder Gilles, irgendetwas in der Art. Das ist nicht so wichtig wie das, was er zu sagen hat.«
    Mit solchen Namen konnte er weder Deutscher sein noch aus Italien stammen. Sie konzentrierte sich auf den rasenden Pulsschlag des Fremden, der unter der sanften Reinigung allmählich langsamer wurde. Es war inzwischen Oktober und sehr kalt in Köln; obwohl eine Pfanne mit glühenden Kohlen im Zimmer stand, brauchte es nicht lange, und seine Haut zog sich erschauernd zusammen. Er trank von dem Most, in kleinen Schlucken, und als sein Atem wieder regelmäßiger wurde, fragte ihr Onkel in der Volgare: »Ist es wahr?«
    Guy oder Gilles nickte mühsam. »Der Kaiser ist tot. Er starb am 28. September in Messina.«
    »Und der Herzog von Schwaben?«
    »Der sitzt in der Burg von Montefiascone fest. Das Land steht in Flammen! Ihr macht Euch keine Vorstellung, wie die Deutschen nach den Jahrzehnten staufischer Herrschaft in Italien verhasst sind, Meister Stefan«, würgte er unter Schmerzen hervor.
    »Ich glaube schon«, sagte ihr Onkel ruhig. »Deswegen habe ich auch keinen nach dort geschickt. Wie steht es um den Papst?«
    »Der ist noch am Leben, aber es heißt, dass es stündlich schlimmer um

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