Das Spiel der Nachtigall
verbot sie sich, wie die üblen Klatschmäuler zu denken, die hinter jeder Seuche Gift oder einen bösen Zauber vermuteten. Dergleichen Vermutungen waren oft dafür verantwortlich, dass Ärzten, die versuchten, das Leben ihrer Patienten zu retten, die Schuld gegeben wurde, wenn jemand starb. Dergleichen Annahmen verhinderten auch, dass man nach neuen Heilmitteln forschen konnte, und sie sollte gar nicht erst solche Verdächtigungen in sich aufkommen lassen, nur, weil ihr Onkel Kaiser Heinrich offenkundig verabscheut hatte und keinen weiteren Staufer auf dem deutschen Thron wollte.
»Und worauf hoffst du jetzt, Onkel?«
»Der Erzbischof mag keinen Eid geschworen haben, doch die übrigen Fürsten haben es getan, einschließlich seines Onkels Philipp. Außerdem sind sicher viele der hohen Herren bereits angekommen in Eretz Israel.« Er fiel ins Lateinische. »Darum eben ist es wichtig, dass wir die Zeit nutzen. Wenn Philipp aus Montefiascone entkommt, dann muss er sich entscheiden, ob er immer noch versucht, seinen Neffen abzuholen, oder die Alpen in Richtung Heimat überquert. Wenn die Kaiserin mit ihren Anhängern wirklich bereits begonnen hat, die deutschen Ritter aus Sizilien zu vertreiben, wird sie ihm den Jungen nicht geben, und das wird die Staufer noch eine Weile hinhalten.« Er sah sie fest an. »Es ist Zeit für einen neuen König. Kein Kind, sondern einen gestandenen Mann, einen, der uns verpflichtet ist und nicht von der Weltherrschaft träumt, nur weil er Karl den Großen übertreffen möchte. Dass sich nicht mehr so viele Fürsten im Land befinden, macht es Erzbischof Adolf einfacher, die Verbliebenen nach Köln zu einer neuen Wahl zu rufen. Mit etwas Glück wird Philipp dann vor vollendeten Tatsachen stehen, sollte er denn überhaupt lebend zurückkehren.«
»Und der Papst in Rom …«
»… wird nicht in der Lage sein, die Fürsten, die sich noch auf dem Kreuzzug befinden, an ihren Eid zu mahnen, wenn er das überhaupt will. Selbst seine Stellvertreter haben anderes im Sinn. Es ist der beste Zeitpunkt, um die Geschicke des Reiches in eine andere Richtung zu lenken.«
»Kaufleute wählen keine Könige, Onkel.«
Er fragte ohne den Funken eines Lächelns: »Warum nicht? Die Zeiten ändern sich und wir mit ihnen! Denk an die Städte in Italien, wie Venedig, Mailand, Pisa, Florenz, Genua; sie sind jetzt schon weitestgehend unabhängig vom Römischen Reich.«
Es glich einem Blick durch einen Kristall, der das Licht umlenkte und alles durch eine neue Spiegelung verzerrt erscheinen ließ. Wenn Judith an die hohen Herren dachte, die ihr bisher begegnet waren, ob Herzog Friedrich, Diepold von Schweinspeunt oder Otto von Poitou, wenn sie weiter an das dachte, was der Kaiser in Salerno getan hatte, dann gab es eigentlich nichts, das jenen Herren höhere Weisheit attestierte als ihrem Onkel. Erkenne eine Krankheit an ihren Symptomen, das war ein Grundsatz, den bereits die Griechen festgehalten hatten; wo keine roten Flecken vorhanden waren, da konnten auch keine Masern sein. Die Kaufleute von Köln hatten zumindest keine Freude daran, Städte zu verwüsten oder Frauen zu bedrohen. Woran hatten sie aber wirklich Interesse? Macht verdirbt jeden Menschen, das hatte ihr Vater immer gesagt. Was werden diese Leute tun, wenn sie einst mächtiger sind als die Barone, die Grafen oder gar die Könige?
»Nun verstehst du gewiss«, fuhr ihr Onkel fort, »warum es mir so wichtig ist, dass sich keine Gerüchte herumsprechen, solange sich das vermeiden lässt. Die Wahl soll hier in Köln stattfinden, und wir müssen sicherstellen, dass so viele von den hohen Herren erscheinen, als noch im Lande sind. Der Erzbischof hat schon einmal angedeutet, dass er den Herzog von Sachsen oder den Herzog von Zähringen für geeignet hält. Er wird ihnen Boten senden, aber soweit es uns betrifft, gibt es da jemanden, der uns viel passender erscheint, und deswegen werden auch wir eine Gesandtschaft schicken. Die darf jedoch nicht als solche erkennbar sein, solange unsere Vorbereitungen noch geheim sind. Daher will ich dich um deine Hilfe bitten, Nichte.«
Eigentlich hätte Judith sich denken können, dass er nicht ohne besonderen Grund so offen über seine Pläne sprach. Es erinnerte sie daran, wie er in Nürnberg nur von der Familie gesprochen hatte und erst in Würzburg offenbarte, dass er auch die Leibärztin der Herzogin von Schwaben gut gebrauchen konnte. Es war nie so, dass Stefan log; er hatte nur bei jedem Gedanken gleich mehrere
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