Das Spiel der Nachtigall
und haben die Hochzeit noch vor uns«, sagte er hastig. »Ich wollte meine Verlobte nicht alleine solch einen weiten Weg machen lassen.«
»Das versteht sich«, sagte Otto und grinste. »Nun, Meister Gilles, dann sollten wir Nägel mit Köpfen machen. Ich möchte feiern, dass die Deutschen mich als ihren König haben wollen, und Ihr wollt meine treue Untertanin hier zum Weib. Bei allen Heiligen, wir sollten die Hochzeit noch heute Abend stattfinden lassen! Mein Kaplan wird sie vollziehen. So dürft Ihr beide einmal in Eurem Leben an der Tafel der Großen speisen und gemeinsam mit uns feiern!«
Judith konnte sich nicht erinnern, wie sie aus der Burg herausgekommen war, ohne alle Vorsicht zu vergessen und Otto genauso wie seinen Onkel, ihren Onkel und alle Männer zu verfluchen. Sogar Gilles, obwohl er es nur gut gemeint hatte. Als Stefan von seinem letzten Besuch in der Burg zurückkehrte, hatte sie ihren Beutel und all ihre Kleidung zusammengepackt und war bereit, Chinon zu verlassen.
»Das ist unmöglich«, sagte er. »Erstens wirst du keine zwei Stunden unterwegs sein, ehe die Nacht anbricht, und du kannst im Winter nicht auf der Landstraße übernachten. Zweitens … es tut mir leid, Nichte, aber manchmal muss man sich den Launen eines Herrschers beugen.«
Entgeistert schaute sie ihn an.
»König Richard hat der Stadt Köln und ihren Kaufleuten gerade die größten Privilegien zugestanden, die wir je in irgendeinem Land hatten«, sagte Stefan sachlich, »und Otto ist sein Lieblingsneffe. Das wusste ich bisher nicht, doch es ist so. Deswegen hat er auch darauf bestanden, dass wir Ottos Wahl vorantreiben, nicht die seines Bruders. Wenn du Otto jetzt verärgerst, indem du seine Großzügigkeit zurückweist, dann wird das wohl nicht zum Abbruch des ganzen Unternehmens führen – kein Mann, der einen Thron ersehnt, lässt sich von einer unerfüllten Laune ablenken. Aber es wird ihn rachsüchtig stimmen. Und dann wird er vielleicht nicht zufrieden damit sein, dich verheiratet zu sehen, sondern dich für sein eigenes Bett fordern – und was dann? Wenn er das will, dann ist das Einzige, was du noch tun kannst, um ihm seinen Willen nicht zu lassen, in ein Kloster einzutreten. Ich glaube nicht, dass du dein Leben als christliche Nonne beschließen möchtest.«
Wenn er sie angefleht hätte, ihm das größte Geschäft seines Lebens nicht zu verderben, hätte sie ihn um seiner Selbstsucht willen verfluchen können. Doch er hatte recht mit allem, was er sagte, und sie wusste es. Das hinderte Judith aber nicht daran, kalten Zorn zu empfinden. »Du rätst mir also zu heiraten, einen Christen zu heiraten, den ich kaum kenne, den Rest meines Lebens mit ihm zu verbringen, nur weil ein mächtiger Edelmann eine Laune hat?«
»Nichte, du weißt, dass Schlimmeres geschehen kann, wenn ein mächtiger Edelmann eine Laune hat.«
»Ich dachte, du und deine Freunde wolltet einen neuen König schaffen, um die Welt zum Besseren zu verändern! Du unterstützt aber nun einen Mann, der Juden nicht als Menschen sieht, sondern als Witzfiguren, die er für sein Fastnachtsspiel braucht«, sagte Judith beißend.
»Du enttäuschst mich mit deiner Selbstsucht und Kleinlichkeit«, entgegnete er unerwartet heftig.
»Meiner –«
»Du siehst den Grafen Otto nur in Bezug auf dich selbst«, unterbrach er sie. »Er mag nicht unsere erste Wahl sein, doch er ist kein schlechter Mann. Im Krieg gegen den französischen König hat er sich als Ritter und Heerführer bewährt, und als der alte Herzog von Österreich seinerzeit Geiseln forderte, hat sich Otto freiwillig gemeldet, damit sein Onkel schneller freikam. Das zeigt, dass er treu und opferbereit ist. All das sind fürstliche Tugenden, und ich kann dir versichern, dass es den anderen daran mangelt. Wann hätte je ein Staufer etwas getan, was nicht nur ihm selbst nutzte? Aber du, du denkst nicht daran, ob Graf Otto gut für das Reich sein wird, du schmollst über einen Vorfall, der Jahre zurückliegt und bei dem niemand zu Schaden gekommen ist, ganz gleich, was gesagt wurde!«
In all den Monaten, die sie unter seinem Dach lebte, hatte Judith ihren Onkel noch nie wütend erlebt. Es war ihr unmöglich, zu entscheiden, ob sein Zorn echt war oder eine Waffe, die er gerade einsetzte. Vielleicht war er auch nur erschöpft und gereizt, nach drei Tagen voller Verhandlungen mit Königen und deren Getreuen. Aber das, was er sagte, traf sie tief. Es stimmte, dass sie nichts über Otto wusste als das, was sie
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